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KI und Klimaforschung – Paradigmenwechsel in den Geowissenschaften

Beitrag in Tagesspiegel, Samstag, 20. Januar 2024
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KI und Klimaforschung. Neues Bild von der Erde
Von Giulio Boccaletti

(Auszug)

Wir erleben gerade den Beginn eines Paradigmenwechsels in den Geowissenschaften. Eine im Juli in „Nature“ veröffentlichte Studie zeigt, dass ein neuronales Netz (künstliche Intelligenz) das Wetter besser vorhersagen kann als das europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage mit dem weltweit modernsten Vorhersagesystem. Im November gab dann die Google Firma DeepMind bekannt, dass seine KI für Wettervorhersage sogar noch zuverlässigere Prognosen erstellt hat.

(…)

Auch wenn die Entwicklung von KI-Anwendungen in diesem Bereich noch relativ am Anfang steht und – wie auch in anderen Sektoren – noch viel zu tun bleibt, könnten KI-gestützte Wettervorhersagen qualifizierte Arbeitskräfte überflüssig machen, da neuronale Netze keine Kenntnisse in dynamischer Meteorologie brauchen (…).

(…)

Gerade in den letzten Jahren kam es zu einem enormen Anstieg der Beobachtungsdaten der Erde. Zwischen 1993 und 2003 wurden nur 25 Erdbeobachtungssatelliten in den Weltraum befördert, während deren Zahl zwischen 2014 und 2022 auf 997 anstieg. Derzeit befinden sich etwa 7560 Erdbeobachtungs- und andere Satelliten in der Umlaufbahn. Mit einer derart umfassenden Weltrauminfrastruktur, die Daten über so gut wie alles liefert – von Pflanzenwachstum, über Wasserdampf und Infrastruktureinrichtungen bis hin zu Infrarotstrahlung, Höhe der Baumkronen und Messungen des Zustands der Atmosphäre – sind wir in das goldene Zeitalter der Erdbeobachtung eingetreten.

Dieses ständig wachsende Datenarchiv beschreibt fast alle Aktivitäten der Menschen und der Natur insgesamt. In Kombination mit neuen KI-Modellen unserer sich stetig ausweitenden Recheninfrastruktur könnte dies unser Verständnis der Erde und unserer Rolle auf dem Planeten grundlegend verändern.

Man denke an den Klimawandel. In den letzten 40 Jahren wurde die Antwort der Menschheit auf die Klimakrise vom zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderung (Weltklimarat) bestimmt, bei dem es sich um ein nach Fachgebieten gegliedertes wissenschaftliches Gremium handelt: die Naturwissenschaften nutzen große Erdsystemmodelle, die viel mit denen für Wettervorhersage gemeinsam haben, während die Wirtschaftswissenschaften und die Geographie die Auswirkungen quantifizieren und sich auf die Rolle der Anpassung und Eindämmungsmaßnahmen konzentrieren.

(…)

Freilich ist KI kein Ersatz für wissenschaftliches Verständnis. Die Wissenschaft wird weiterhin ein durch und durch menschliches Unterfangen bleiben, dessen Wert eher darin liegt, die richtige Frage zu stellen, anstatt nur Antworten aus Daten zu extrahieren.

(…)

Deutscher Kongress für Geographie

Nanu, frage ich mich: Im Rundbrief Geographie Mai 2023 finde ich einen Hinweis auf den „Deutschen Kongress für Geographie“, der im September 2023 in Frankfurt am Main stattfinden soll. Ich erinnere mich: Es gab „früher“ den Deutschen Schulgeographentag und den Deutschen Geographentag. In meiner Eröffnungsrede des Deutschen Schulgeographentages in Berlin 2004 habe ich vorgeschlagen, die beiden Geographentage zu einem „Deutschen Kongress für Geographie“ zuzsammenzuführen. Was ich als Reaktion erfahren durfte, würde man heute als „shit-storm“ bezeichnen. Insbesondere Meinungsführer des VGDH lehnten zwar meinen Vorschlag inhaltlich nicht rundweg ab, fanden aber 1001 Gründe, warum der von mir vorgeschlagene Name „Deutscher Kongress für Geographie“ indiskutabel sei. 19 Jahre später staune ich (und freue mich) über den Sinneswandel in der Geographie…

Geographie ist Schicksal

„Im Türkischen gibt es eine Redewendung: Geografie ist Schicksal. Es ist ein wehmütiger Spruch, einer, der sich vor allem auf die negativen Einflüsse bezieht, die die geografischen Bedingungen eines spezifischen Ortes auf die dort lebenden Menschen haben. …“ (Fatma Aydemir in wochentaz v. 11.-17. Februar 20232, S. 16)

Kommentare – erwünscht, aber leider wenig hilfreich

So lange geographischebildung.de existiert – ich weiß nicht mehr genau wie lange, aber es sind mindestens 10 Jahre – so lange warte ich auf leise, mutige Zustimmung, scharfe Ablehnung („Nestbeschmutzer“!) , verständliche Kommentare, schlicht: Ansatz einer Diskussion. Von der Geographie. Von Kolleginnen und Kollegen. Von Verantwortlichen in den geographischen Verbänden. Aber: Ich kann in höchsten Tönen loben (selten) oder in Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, die kleineren und größeren Beiträge aufschreiben und hier einstellen. Es passiert: NICHTS. STILLE. Außer Ansammlungen von Zahlen und Buchstaben: Was soll das?

Das jüngste Beispiel, das ich heute dankbar erhalten habe, ist leider typisch, allerdings auch wenig hilfreich:

Autor: qQlIFprZPDceMWhB (IP-Adresse: 171.212.102.210, 171.212.102.210)
E-Mail: xoprabujum@outlook.com
URL: http://hemxfgEcQrPdu
Kommentar: 
OQzWJjEvGlL

Geographie in der Schule? Antwort von KI

Eine oft gestellte Frage – diesmal beantwortet von KI unter ChatGPT:

„Geography is a subject that provides a broad understanding of the Earth and its various features, including the physical, cultural, and economic characteristics of different regions and countries. It helps students develop a sense of place and understand the world in which they live, as well as the connections and interdependence between different parts of the world.

There are many reasons why geography is an important subject to study in schools. It can help students develop critical thinking skills as they learn to analyze and interpret geographic data and information. It can also help them understand the complexities of global issues, such as climate change, resource depletion, and cultural diversity. Geography can also foster an appreciation of the natural world and encourage students to become responsible global citizens.

In summary, geography is a valuable subject that can provide students with a wide range of skills and knowledge that are applicable to many different fields. It can also help them develop an understanding of and appreciation for the world in which they live.“

Alles klar?

Oder (12. September 2023) – auch mal auf Deutsch:

„Der Geographieunterricht in Deutschland ist ein fester Bestandteil des schulischen Lehrplans. Das Fach Geographie wird in der Regel ab der 5. Klasse bis zum Abitur unterrichtet. Es vermittelt den Schülerinnen und Schülern Kenntnisse über die Erde, ihre Landschaften, Kulturen, Wirtschaftsstrukturen und Umweltprobleme.

Der Geographieunterricht hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da Themen wie Klimawandel, Globalisierung und nachhaltige Entwicklung immer präsenter werden. Die Vermittlung von geographischem Wissen und Kompetenzen ist wichtig, um die Schülerinnen und Schüler auf die Herausforderungen der globalisierten Welt vorzubereiten.

Allerdings gibt es auch Herausforderungen im Geographieunterricht. Oftmals stehen den Schulen begrenzte Ressourcen zur Verfügung, um den Unterricht anschaulich und praxisnah zu gestalten. Zudem gibt es einen Mangel an qualifizierten Geographielehrkräften, insbesondere in ländlichen Regionen.

Um den Geographieunterricht zu stärken, engagieren sich verschiedene Akteure wie der Verband Deutscher Schulgeographen (VDSG), der sich für die Förderung des Fachs einsetzt. Zudem gibt es zahlreiche Fortbildungsangebote für Lehrkräfte, um ihre Kompetenzen im Bereich der Geographiedidaktik zu erweitern.“

Immer noch alles klar?

(Nur) 22 Fragen an die Schulgeographie

Eberhard Schallhorn
Fragen an die Schulgeographie (November 2022)

Viele der folgenden Fragen an die Schulgeographie sind schon oft gestellt worden. Beantwortet wurden sie nicht. Zweifellos gibt es engagierte und informierte Schulgeographinnen/en, die aus persönlicher Überzeugung Vieles anders als bisher machen. Sie aber können nicht allein vermitteln, wie die organisierte Schulgeographie (der VDSG) das Schulfach nach außen (Kultusbehörden, Öffentlichkeit) vertritt.

Nun kann und soll man nicht erwarten, dass jemandem, der sich der Geographie verbunden  fühlt, schon das Herz vor Freude hüpft, wenn er/sie nur an Geographisches denkt. Das Geschäft eines Verbandsfunktionärs ist nüchterner. Die (gewählten) Vertreter unseres Faches sind im Grunde genommen (Fach-)Politiker, die für sich die Notwendigkeit erkannt haben, das Fach objektiv zu stärken und es für die Erweiterung der Bildung unserer Schülerinnen/er, den zukünftigen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, zu nutzen. Diesem Leitbild folgen sie uneigennützig und dem Fach verbunden, das sie stärken und entwickeln wollen – sine ira et studio, sondern überlegt und aus Überzeugung.

Statt aber das früher Erarbeitete zu benutzen, zu entwickeln und  an die Gegebenheiten und Forderungen  der Zeit anzupassen, werden immer neue umfangreiche Zukunftsperspektiven ohne Berücksichtigung von Vorarbeiten von Gleichgesinnten erarbeitet, derzeit die, die sich originell „Roadmap“ nennt und auf das Jahr 2030 zielt. Wenn man die Implementierungszeit dazu rechnet, wird es vielleicht 2040. Ist so viel Zeit? Letztlich wiederholen alle vorgeblich „zukunftsweisenden“ Beiträge für das Schulfach Geographie höchstens das, was in den vergangenen 100 Jahren recht erfolglos auf der Agenda des Schulgeographenverbandes stand. Auf programmatische Veröffentlichungen des VDSG wird in der Regel nicht Bezug genommen und aufgebaut, wo es möglich erscheint – obwohl auch sie mit viel Mühen von engagierten Geographinnen/en erarbeitet wurden. 

Es wäre Zeit für pädagogisch, didaktisch und methodisch angemessen zeitgemäße, auch unkonventionelle Ideen und ihre Durchführung, auch solche, die vielleicht früher nicht auf Gegenliebe gestoßen sind. Sie sollten auf Gedanken und Vorstellungen des Verbandes Deutscher Schulgeographen aufbauen. Sie könnten aus unserem Fach heraus Anstöße geben für die Schul- und Bildungsentwicklung. Überholtes sollte deutlich als solches bezeichnet werden.

Die folgenden „Fragen“ stelle ich aus grundsätzlich positiver Motivation gegenüber der Geographie. Sie könnten Anregung zu fachlicher argumentativer Auseinandersetzung sein. Sie sollten nicht zu  kurzschrittigen Äußerungen führen wie „Geht nicht, haben wir alles versucht!“ oder „Machen wir schon!“ oder gar „Der alte Spinner – wo waren wir stehengeblieben?“

Die Reihenfolge der folgenden „Fragen“ – die ich fortsetzen könnte – stellt keine wertende Rangordnung dar.

1
Zur Erinnerung aus den 1980er Jahren:
„Das Verhältnis zwischen dem Didaktiker-Verband und dem Verband Deutscher Schulgeographen ist im Augenblick nicht ungetrübt, bedingt durch Veröffentlichungen von Mitgliedern dieses Verbandes über Themen, die unserem Aufgabenbereich unterliegen. Sie haben der Gemeinsamkeit nicht gedient. Außerdem haben Lehrplanveröffentlichungen an anderer Stelle gegen vorherige Absprachen verstoßen.“ (1981)
Die derzeitige VDSG-Verbandspolitik wird – nach meiner Anschauung – maßgeblich durch einen Didaktiker vertreten, der aufgrund seiner Erfahrungen nur wenig für die Schulgeographie sprechen kann. Ist das so richtig – oder findet sich kein Schulpraktiker, der das übernehmen könnte?

2
In vielen Darstellungen zur Bildungspolitik in Deutschland wird aufgegriffen, was Hartwig von Hentig (ursprünglich anerkannter Pädagoge und Didaktiker, sogar Leitgedankengeber eines baden-württembergischen Lehrplanes für die Gymnasien)  nach dem Titel eines seiner Bücher zugeschrieben werden kann: „Schule neu denken.“ Welchen Beitrag leistet dabei die Schulgeographie?

3
Was trägt die Schulgeographie allgemein zur Schul-Bildung der deutschen Schülerinnen und Schüler bei?

4
Was ist das Spezifische, das die Schulgeographie im Fächerkanon der Schule zur Bildung unserer Schülerinnen und Schüler beiträgt?

5
Welche Themen und Methoden muss die Schulgeographie angesichts ihrer unermesslichen inhaltlichen Fülle in der Schule unverzichtbar bereithalten?

6
Welche Rolle kann heute der Bereich Geopolitik im Geographieunterricht – auch als Grundlage für Rollenspiele – spielen, nachdem dieser Themenbereich aufgrund der historischen Erfahrungen marginalisiert wurde?

7
Die Schulgeographie fordert seit nunmehr über 100 Jahren die Zweistündigkeit in allen Klassenstufen und Schularten – mit ersichtlich wenig Erfolg. Wie können  geographische Inhalte im Schulunterricht überhaupt gehalten und sogar gestärkt werden?

8
Welche Möglichkeiten gibt es, geographische Inhalte in der Schule auch außerhalb des eigentlichen Schulfaches zu vermitteln?

9
Ist eine Zusammenarbeit mit den ähnlich der Geographie in der Schule vernachlässigten Fächern Geschichte und Politik in einem Fach „Gesellschaftswissenschaften“ nicht doch erwägenswert – nachdem die Schulgeographie bisher ihre Eigenständigkeit zwar weitgehend ebenso erfolgreich wie kompromisslos behauptet hat, das Fach in der Schule aber insgesamt nur  wenig an Unterrichtszeit gewinnen konnte?

10
Die Tatsache, dass Geographie in der Schule bei vielen Schülerinnen und Schülern Interesse findet, dass es meistens als „schönes“ Fach bezeichnet wird, dass seine Inhalte von der Öffentlichkeit und von Eltern als „wichtig“ bezeichnet werden, hilft wenig gegen die beständige Beschränkung seiner Stundenzahlen in den Schulen und damit die geringe Vermittlung wichtiger geographischer Inhalte und Methoden.  Ein Gespräch zwischen der DGfG und der Kultusministerkonferenz brachte keinen erkennbaren Fortschritt, der Geographie wurde geraten, „weiter so“ zu arbeiten. Ihre Belange gerieten vorerst in die Ablage  „Wiedervorlage“. Kritik dazu gibt es m.W. nicht. Warum behauptet die Homepage des VDSG gleichwohl die gute Zusammenarbeit mit der Kultusbürokratie?  

11
Auf meiner Homepage geographischebildung.de habe ich im Laufe der Zeit viele Inhalte, Zitate, Belege zusammengetragen, die zeigen, dass bei der öffentlichen Darstellung der Schulgeographie nicht alles rund läuft. Ich habe seit Bestehen der Website nicht eine einzige (positive oder negative) Kritik erhalten. Ist der (Schul-)Geographie alles egal?

12„Wir wollen in der Schule keine Geographen ausbilden und auch keinen Schüler unbedingt dazu bringen, Geographie zu seinem besonderen Lebensinhalt zu machen. Wir wollen aber, dass im Konzert der Begabungen und Befähigungen auch die entdeckt und gefördert werden, die dem Fach Geographie in besonderer Weise entsprechen: Nämlich die Dualität zwischen Theorie und Praxis, das fachübergreifende und fächerverbindende Arbeiten, das Interesse an der Welt, ihrer Genese und ihrer Entwicklung sowie dem Leben der Menschen in ihr. Das Fach Geographie führt die Menschen zu nachhaltigem Verhalten, globalisiertem Verständnis und interkulturellem Zusammenhalt. Das macht es wertvoll, das verleiht ihm seinen Anspruch, stark zu sein und gestärkt zu werden.“ (E. Schallhorn, Schluss der Rede zum 100jährigen Bestehen des VDSG 2012) Ist das falsch?

13
Liest man Aufsätze über Inhalte und Bedeutung der Schulgeographie, erscheint es, dass die Schulgeographie alles kann und alles will. Der Autor/die Autorin kommt dann aber doch zu der Schlussfolgerung, dass all dies wohl kaum in nur manchmal zwei Unterrichts-Wochenstunden pro Schuljahr erreicht werden kann. Neben traditionellen wie zeitgemäßen geographischen Inhalten soll das Schulfach Geographie Vieles leisten, was auch oder besonders andere Fächer leisten müssten: Textverständnis, Bildbeschreibung, Medienkunde und -kritik, Textinterpretation, Auswertung von Statistiken, Zeichnungen, Interviews, Exkursionen etc. etc. Dazu soll die Schulgeographie Brückenfach oder Integrationsfach sein, sich inhaltlich und methodisch in Sozial- und Naturwissenschaft gleichermaßen auskennen, fühlt sich als Naturwissenschaft, ist aber dem gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereich in der Schule zugeordnet und muss sich mit dem Faktum auseinandersetzen, dass im derzeitigen Anthropozän der handelnde Mensch die Natur zu überformen droht. Ob mit solcher Rollenzuweisung und solchen Auffassungen die „Freundschaft“ der anderen im Fächerkanon der Schulen vertretenen Fächer erreicht werden kann? Wo soll, kann und muss  der richtige Schwerpunkt liegen?

14
In Klasse 5 (des Gymnasiums) sind die Schülerinnen und Schüler um die zehn Jahre alt. Zehn! Wie können sie dann komplexe, systemische  Inhalte – wie sie beispielsweise in geographischen Themen typisch sind – begreifen und/oder verstehen und nicht nur nachplappern? Können sie eine Vorstellung von den Zeiten und Quantitäten entwickeln, die bei naturwissenschaftlichen Inhalten der Geographie eine bedeutende Rolle spielen (was im Übrigen auch Erwachsenen schwerfällt)? Überdies sollen Lehrer/innen in unteren Klassen der weiterführenden Schulen Defizite aus dem Grundschulunterricht ausgleichen – schlicht unterrichtet werden können, stillsitzen, Fragen formulieren, Toiletten in den Pausen nutzen (wenn sie bei Doppelstunden noch gemacht werden), das Erdkundeheft angemessen führen, heute auch zunehmend: sich verständigen können, zuhören, argumentieren und und …  Schule eben, nicht nur Geographieunterricht. Sollte Geographieunterricht entsprechend der Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler nicht besser erst ab Klasse 7, dann aber weiterhin kontinuierlich unterrichtet werden?

15
Können Inhalte für den kärglichen Geographieunterricht überhaupt angemessen und sachbezogen so ausgewählt werden, damit es nicht von Stunde zu Stunde  (wenn überhaupt) zu inhaltlicher Hüpfakrobatik kommt – diese Stunde behandeln wir das, in der nächsten das, Ruhe und Verharren sind nicht angesagt?  Wenn der Schwerpunkt der geographischen Behandlung nicht auf Inhalte, sondern auf Methoden und Einsichten gelegt würde, dann kämen wir weiter. Wenn das kontinuierlich in den unteren Klassen ab 5 zweistündig geübt und ständig verfestigt werden könnte, kämen wir in höheren zu der Einsicht der Schülerinnen und Schüler, dass es Monokausalität nicht gibt – und allen heute so bekannten Vereinfachern der Sichtweisen  könnte von vielen argumentativ widersprochen werden.

16
Ein wesentliches Argument vieler Schulgeographen/innen für die Wichtigkeit ihres Schulfaches ist die Behandlung geographischer Inhalte in einem Zentralabitur. Seit über 20 Jahren arbeite ich die Abituraufgaben Geographie für den Philologenverband so um, dass der sie ohne Konflikt mit Urhebergesetzen veröffentlichen kann.  Ich halte das, was heutzutage an geographischem Abiturwissen abgefragt wird, für entbehrlich, weil es aus den beigefügten Materialien ausgelesen werden kann – richtig lesen zu lernen ist aber nicht die zentrale Aufgabe des Geographieunterrichts. Wenn schon, dann sollte eine geographische Abituraufgabe so gestellt sein, dass der/die Abiturient/in in einer zusammenhängenden Darstellung  methodische Fähigkeiten erweisen kann (systemische Zusammenhänge).  Wenn das geographische Abitur (auch gegen den zu erwartenden Widerspruch der Hochschulgeographie) in der gymnasialen Oberstufe zugunsten von durchgehender (mindestens) Zweistündigkeit des Faches in allen Klassenstufen und Schularten wegfallen würde, wäre mehr erreicht als wir heute haben.  Die Schulgeographie kann ihre Berechtigung nicht von ihrem Dasein als  Unterbau der Hochschulgeographie ableiten – wie es manche tun -, sondern ihr Hauptanliegen muss es sein, das spezifisch Geographische zur  Bildung unserer Schülerinnen/er  hinzuzufügen (siehe Punkt 4). Ist es also richtig, für die Teilnahme an der Abiturprüfung die lückenhafte Vertretung des Faches in den unteren Klassen zu tolerieren?

17
Der Verband Deutscher Schulgeographen e.V. mit seinen Landesverbänden ist  in Deutschland die höchste organisierte Institution, die sich für das Fach Geographie an den Schulen einsetzt. Dafür muss er zukunftsweisend ausgerichtet sein und offensiv argumentieren. Dass die im Verband ehrenamtlich Tätigen ihr Fach „lieben“ und „wichtig finden“, muss vorausgesetzt werden. Das kann aber nicht alleiniger Ansatzpunkt für ihr Engagement sein. Brauchen unsere Schülerinnen und Schüler geographisches Wissen und Methoden  auch dann, wenn ihr späterer Beruf mit geographischen Inhalten nur wenig involviert ist?

18
Die seit nunmehr seit über 50 Jahren bekannten und anerkannten „Grenzen des Wachstums“ sind noch immer weitgehend nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit so angemessen verinnerlicht, dass ein gesellschaftlicher und politischer Wandel Maßgabe unserer Handlungsorientierung ist. Das in weiten Teilen der Öffentlichkeit befürwortete große Engagement der Jugend hat zwar ein Bewusstsein für erforderliche Veränderungen geschaffen, nicht aber oder nur schleppend zu den verändernden Maßnahmen selbst geführt. Die Grenzen, an die die Menschen derzeit gestoßen sind, sind naturwissenschaftlicher, anthropogener, ökologischer, ökonomischer, sozialer und politischer Natur, wobei alle Bereiche systemisch ineinander greifen. Wäre es nicht angemessen, das Schulfach Geographie angesichts der Notwendigkeit wachsender und größerer gesellschaftlicher  Akzeptanz für den Handlungsbedarf  der Folgen des unzweifelhaften Klimawandels mindestens in einer mittleren oder höheren Klassenstufe  in „Klima“ umzubenennen?

19
Geographischer Unterricht mit methodischem Schwerpunkt auf Vermeidung von Monokausalität, auf systemischem Denken in komplexen Zusammenhängen, wie es der Geographie zu eigen ist, kann und wird Auswirkungen auf die Bewertung und die Ausübung  demokratischer Tugenden, Rechte und Pflichten haben. Kann darauf verzichtet werden, gerade auch in Zeiten, deren überragende Merkmale Unsicherheiten, weltweite Egoismen, nationale Eigensinnigkeiten, Disproportionalitäten oder Ungerechtigkeit sind – von ökologischen und ökonomischen Grenzen des Wachstums auf einem geplünderten Planeten hier gar nicht zu reden?

20
Mein langjähriges Petitum für ein „geowissenschaftliches Profil des Gymnasiums“ bleibt  vom VDSG  unbeachtet, obwohl es bei der zunehmenden Bedeutung geowissenschaftlicher Themen eine angemessene Reaktion auf den Aufklärungsbedarf der Öffentlichkeit darstellen könnte. Warum wird der Vorschlag vom VDSG schlicht übersehen? Der Verband könnte auch in Zusammenarbeit mit der DGfG eine geowissenschaftliche Internats-Schule initiieren. In Zusammenarbeit mit einer Stiftung (z.B. Robert Bosch Stiftung) wäre eine entsprechende Einrichtung anzuregen, auch als Vorbereitung für den Studienbeginn in einem geowissenschaftlichen Studiengang, dann evtl. nur als Oberstufenkolleg – man muss nur etwas machen!. Beispiel: https://www.bosch-stiftung.de/de/thema/robert-bosch-college-uwc

21
„Auch wenn Unterricht seine junge Menschen bildende Wirkung immer über Vernetzungen entfaltet, die Fachgrenzen überwinden, kommt der geographischen Integration in der Schule eine besondere Funktion als Alleinstellungsmerkmal zu. Dieses besteht in der Fokussierung auf den Raum in seinen unterschiedlichen Dimensionen, Verankerungen und Ansprüchen. Die Rolle als Experten für den Raum kommt der Schule den Lehrkräften mit der Fakultas für Erdkunde zu. (…) Doch analysiert die Geographie nicht nur vergangene Prozesse, sie setzt sich ebenfalls mit aktuellen Wandlungen in Räumen auseinander, auch beschäftigt sich diese Disziplin mit Prognosen für künftige Veränderungen in der Geosphäre. Das Wissen von räumlichen Disparitäten (…) geoökologische Kenntnisse  von weltweiten räumlichen Zusammenhängern bei Lösungen für Reduzierungen der Folgen des Klimawandels wie bei der Beschäftigung mit der Zukunft der Globalisierung …[mit] räumlichen Zusammenhängen im lokalen Gefüge (…) bauliche Verdichtungen in Städten und die dadurch verursachten Folgen für das Stadtklima (…) Konzepte für intraurbane Verkehrsplanungen (…) Raumplanung im Wirkungsgefüge Stadt-Land (…) künftige Bedeutung von ländlichen Räumen im Hinblick auf die Daseinsgrundfunktionen ebenfalls ein Thema, das eine geographische Betrachtungsweise erfordert. (…) “ (Hon.-Prof. Dr. Fritz-Gerd Mittelstädt in Profil Jan./Feb. 2022, Titel des Beitrags: „Erdkunde als schulisches Integrationsfach“). Ob man dieses Statement als Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule mal überdenken sollte?

22 (Fortsetzung von 21)
Schließlich mündet der Beitrag in folgenden Schlussfolgerungen: „Damit sind nur wenige Inhalte geographischer Forschung und geographischer Bildung angesprochen, die Geographie und Geographiedidaktik seinerseits für elementar ansehen und auf die andererseits in exemplarischer Weise die bereits zuvor gestellte Frage bezogen werden kann: welche Bedeutung haben welche geographischen Inhalte und Forschungsziele im Hinblick auf räumliche Zusammenhänge von Querschnittsforschung? (…)“  Wie war das noch mit Schulgeographie und Schülerinnen und Schülern?

23
Zu VDSG/Gesamtvorstand und DGfG/Präsidium fällt mir leider nichts ein.

Geographieraum, Geographiesammlung

Bis zu meinem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst im Jahre 2008 habe ich engagierten Geographieunterricht an meiner ehemaligen Schule durchführen können. Dazu gehörte im Verlaufe der Jahre an der Schule (und mit Unterstützung der Schulleitung) die Einrichtung eines Geographieraumes mit den wünschenswerten Projektionseinrichtungen und die Zusammenstellung einer reichhaltigen Sammlung von alle dem, was man in einem lebendigen Geographieunterricht so benötigt: Beispiele topographischer Karten aus vielen deutschen Landschaften, thematische Karten aller Art verschiedener Maßstäbe, geologische Karten, Gesteinssammlungen, Hilfs- und Arbeitsmittel für geographische Exkursionen (Erdbohrer, Schutzhelme, Kompasse, Geologenhammer etc.), Photoapparate für Schüler/innen, Luftbilder, Dias, klimatologische Messgeräte, usw.usw. Alles wohl geordnet in Sammlungsvitrinen, Kartenschränken, Diaschränken. Natürlich eine umfangreiche Wandkartensammlung – kurzum: Eine ansehnliche Anzahl von Unterrichtsmaterialien. Oft wurden auch geeignete Teile aus ihr zeitweise in Vitrinen im Schulgebäude ausgestellt.

Im Jahre 2022 wurde der Geographieraum mit der Geographiesammlung aufgelöst: In der Schule komme kein Leistungskurs Geographie mehr zustande, die Objekte der geographischen Sammlung würden nicht mehr benötigt, hieß es. Vieles wurde weggeworfen, einiges verschenkt, das Mobiliar einer anderen Nutzung zugeführt. Das war’s.

Nachhaltigkeit (3) – Nachhaltigkeitsziele der UNO

Im Jahre 2015 haben sich die Vereinten Nationen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung gesetzt. Sie werden gerne zitiert, wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, auch viele Geographiedidaktiker beziehen sich auf sie und verweisen auf die Bedeutung, die das Schulfach Geographie bei ihrer Umsetzung und Implementierung hat (haben könnte). Die Realität sieht (leider) nicht so nachhaltig aus: „Das zweite Jahr in Folge macht die Welt keine Fortschritte mehr“ – so stellt es der“Sustainable Development Report 2022″ fest. Auch Deutschland macht dabei keinen guten Eindruck: Es werden Deutschland mit 60 von 100 möglichen Punkten große ökologische, soziale und wirtschaftliche Schäden in anderen Nationen im Bereich „Überschwapp-Index“ bescheinigt. Schlecht stehe es auch im Bereich „Klimaschutz“, gut allein im Bereich „Abschaffung der Armut“ (Nachhaltigkeitsziel 1) – das aber bezieht sich nicht allein auf den nationalen Bereich, sondern auf den globalen Maßstab.

Geographie im Meinungsaustausch mit der KMK

Am 12. Januar 2022 trafen sich Vertreter der geographischen Teilverbände in der DGfG sowie der GeoUnion zu einem Meinungsaustausch mit der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) über den Stand der geographischen Bildung an den Schulen in Deutschland sowie dem des Schulfaches Geographie. Wenn auch viel Anerkennendes über die Inhalte und Ansprüche des Schulfaches von Seiten der KMK geäußert wurde, so bleibt doch der Eindruck bestehen, dass durch die Argumentation der Geographie,
– die Schulgeographie habe von allen Schulfächern allein eigenständige Alleinstellungsmerkmale durch die Verbindung von naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlich/ökonomischen Inhalten,
– sei außerdem das „Zentralfach“ des 21. Jahrhunderts und
– eigentlich grundsätzlich das Kernfach des schulischen Querschnittthemas „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ an den Schulen,
die Bedeutung des Schulfaches insgesamt zugleich unangemessen überspitzt wie auch gemessen an der derzeitigen stundenplanmäßigen Ausstattung ziemlich weltfremd dargestellt worden ist. Weniger und eine feinfühligere Argumentation gegenüber den anderen, der Schulgeographie grundsätzlich in ihrer Bedeutung gleichgestellten Schulfächern wäre insbesondere in diesem Gespräch mit der Spitzenorganisation des deutschen Schulbildungswesens möglicherweise angemessen und zielfördernder gewesen.

Die Vertreter der KMK begegneten den Argumenten der Geographie ausgesprochen freundlich, versahen die Auffassung der Vertreter der geographischen Verbände bildungspolitisch aber gedanklich mit dem Vermerk „zu den Akten“ und versprachen weiteres Vorgehen. Mehr (Protokoll der Sitzung) HIER.

Grenzen des Wachstums – kein Thema für die Geographie?

Heute (März 2022) vor 50 Jahren wurde der Bericht des Clubs of Rome „Grenzen des Wachstums“ publiziert. Erinnert sich die deutsche ogranisierte Geographie an dieses Datum? Weist sie darauf hin, dass Meadows u.a immer darauf hingewiesen haben: „Wenn…“? Zum Glück sind viele Wenns eingetreten, und auch deshalb sind viele der schwarzen Vorhersagen des Berichts (noch) nicht eingetreten.

“ Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der
Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von
natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten
Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Mit
großer Wahrscheinlichkeit führt dies zu einem ziemlichen raschen und nicht
aufhaltbaren Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität.“

(Aus: Grenzen des Wachstums, Zusammenfassung Punkt 1)

Gleichwohl wäre doch ein öffentlichkeitswirksamer Hinweis von Seiten von VDSG oder DGfG nicht so unangemessen, oder?

Gesellschaftswissenschaftliches Schulfach

Wie war das noch mit „Schule neu denken“?

Die Fachvertretung des Schulfaches Geographie hat sich seit nunmehr 110 Jahren – seit der Gründung des Fachverbandes VDSG im Jahre 1912 – ebenso unverdrossen vehement wie argumentationsreich, aber letztlich erfolglos für eine Stärkung des Schulfaches Geographie eingesetzt. Ziel war es, in allen Klassenstufen und Schularten zwei Unterrichts-Wochenstunden zu erhalten. Das ernüchternde Ergebnis kann in den Stundentafeln der Schulen nachgelesen werden: Mal zwei Stunden, mal eine, mal Klassenstufen völlig ohne Geographie, mal Geographie integriert in ein Integrationsfach Gesellschaftslehre, in der Regel im Verbund mit Gemeinschaftskunde/Politik und Geschichte. Aber auch das Integrationsfach ist in der Schulwirklichkeit schwammig: Mal werden die drei Fächer Gemeinschaftskunde/Politik, Geschichte und Geographie in einem Fach „Gesellschaftskunde/Gemeinschaftskunde/Geschichte“ ohne weitere Unterscheidung unterrichtet, mal werden sie in den Schuljahren zeitweise getrennt unterrichtet, dann wieder firmieren sie getrennt als Geschichte und/oder als Gemeinschaftskunde und Geographie. Geschichte hat oft Priorität. In manchen Bundesländern ist den Schulen die Aufgabe zugewiesen, Inhalte und Stundenverteilung selbst auf der Grundlage von einem gemeinsamen Stundenpool zu erarbeiten.

Die Vertreter der drei Fächer haben sich zuletzt in der „Würzburger Erklärung“ aus dem Jahre 1995 grundsätzlich gegen diese fachliche Vermengung gewehrt und für jedes Fach Eigenständigkeit und Zweistündigkeit gefordert – nicht um der Lehrpersonen willen, sondern weil jedes Fach für sich den je spezifischen Bildungswert, seine Inhalte und Kompetenzen für den künftigen Bürger für notwendig und wesentlich erachtet. Bei Nachfragen unterstützte die Öffentlichkeit diesen Anspruch der Fächer mit Mehrheit – der zwar länderweise, aber insgsamt doch weitgehend ohne Resonanz bei den Kultusbehörden blieb. Für die Schulgeographie ergab sich daraufhin schließlich, was diese Website überschreibt: „Geographische Bildung tut Not!“

Von Seiten der organisierten wissenschaftlichen bzw. schulischen Geographie scheint man sich abgefunden zu haben. Von Protesten oder gar aktuellen Anregungen, die auf eine Änderung des Status quo zielen, ist kaum etwas zu spüren. Die Geographiedidaktik hat eine Anregung gegeben, über das Fach in der Schule unter vielerlei Aspekten zu reflektieren. Ergebnisse sollen in verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeitet werden und in zehn Jahren (gerechnet von 2021) vorliegen: „Road Map 2030“. Geht’s noch?

Die wissenschaftliche Geographie arbeitet weiterhin mit Elan in ihrem universitären Elfenbeinturm. In der DGfG wurden schon um die Jahrtausendwende Anstöße gegeben, endlich vermehrt in die Öffentlichkeit hinein zu wirken. Beim International Geographical Congress im Jahre 2012 in Köln wurde die deutsche Geographie öffentlich von der International Geographical Union dazu aufgefordert, zur Stärkung des Faches mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu zeigen. Alles das wurde aber weder ernsthaft erhört noch überhaupt ernst genommen. Erst Ende 2021 hat der Verband der Geographen an deutschen Hochschulen nunmehr erneut mit großem Erstaunen festgestellt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Geographie im „Jahrhundert der Geographie“ entwicklungsfähig sein könnte.

Wenn schon von Seiten der KMK das Fach Geographie in den gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenbereich zusammen mit Geschichte und Gesellschaftswissenschaften/Politik geschoben wurde, so sollte doch vielleicht mehr als 60 Jahre nach dieser kultusbehördlichen und heute immer noch gültigen Entscheidung mal darüber nachgedacht werden, ob geographische Inhalte, Methoden und Denkweisen nicht vielleicht doch innerhalb eines gesellschaftswissenschaftlichen Faches ein gesichertes „Zuhause“ in der Schule hätten:

„Bislang fehlt es allerdings an einer hinreichend ausgearbeiteten und zwischen den beteiligten Fächern breit akzeptierten theoretischen Grundlage für ein vollständig integriertes gesellschaftswissenschaftliches Fach. (…) Das zentrale Problem, das sich hierbei stellt, ist die Frage, wie die disziplinäre Vielfalt der beteiligten Fächer zur Grundlage eines multiperspektiven Integrationsfaches gemacht werden kann, ohne dass es in der Praxis zur Dominaz nur eines dieser Fächer oder zu fachlichem Dilettantismus kommt. (…) Globalisierung oder Friedenspolitik [können] ohne jeden Bezug auf historische und geographische Apekte nicht sinnvoll bearbeitet werden. Umgekehrt wäre ein Geschichts- oder Geographieunterricht, der politische Perspektiven völlig ausblenden würde, fachlich nicht verantwortbar.“ (Wolfgang Sander)

Bildungsstandards – wer war erster?

Sicher, es gibt Wichtigeres. Ob beide rechthaben?

Die Endfassung [der „Bildungsstandards im Fach Geographie
für den Mittleren Schulabschluss“
] wurde der KMK, den 16 Kultusbehörden und einer Reihe von einflussreichen Bildungswissenschaftlern [im Jahre 2006]  übermittelt. Die Geographie ist damit das erste Fach, das in Kooperation von Lehrern, Fachdidaktikern und Fachwissenschaftlern die nationalen Standards für den Mittleren Schulabschluss aus eigener Kraft entwickelt hat.
Aus: Vorwort aus DGfG: Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Abschluss.

Die Politikdidaktik war (…) [im Jahre 2004] die erste fachdidaktische Disziplin, die durch ihren Fachverband einen eigenen Entwurf für nationale Bildungsstandards  (…), beruhend auf einem Kompetenzmodell vorlegte.  
Aus: Massing, Peter: Politische Bildung in der Bundesrepublik Dutschland. Frankfurt/Main 2021, S. 95.

Richthofen Büste in Pokój – Einweihung am 7. Juni 2012

Ansprache von Dr. Eberhard Schallhorn Einweihung Büste 7. Juni 2012

Dzień dobry!

Leider kann ich noch immer kein Polnisch. Gestatten Sie mir daher, dass ich mich auf Deutsch an Sie wende. Ich danke meinem freundlichen Dolmetscher.

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute ist ein großer Tag für Carlsruhe/Pokój, für die Wissenschaft Geographie insgesamt und für die deutsche Geographie.

Wir gedenken heute mit der Einweihung dieser Büste des großen Geographen Ferdinand Freiherr von Richthofen, dessen Familie in Schlesien verwurzelt war und der – zugegeben eher zufällig – am 5. Mai 1833 hier in Carlsruhe geboren wurde.

Sein Lebensweg führte ihn über das Studium der Geologie zu Expeditionen nach Nordamerika und China, schließlich zur Geographie, weil ihn seine Reisen hatten einsehen lassen, dass die Beobachtung der Erdoberfläche sich nicht nur auf die geologischen Gegebenheiten und Prozesse beschränken darf, sondern die Vielzahl der naturkundlichen Erscheinungen einbeziehen muss. Dazu gehören die bodenkundlichen, die morphologischen, meteorologischen, vegetationskundlichen Erscheinungen. Und er sagte mit Recht: „Keine Erscheinung darf dem Forschungsreisenden zu geringfügig sein; auf jede muss er sein Auge richten; der geübte und geschärfte Blick vermag oft in dem Kleinen das Fundament zu finden, um Größeres richtig zu beurteilen und durch oft wiederholte sorgfältige Kombination weittragende Schlussfolgerungen zu ziehen.“

Damit hat er die Arbeitsweise der interdisziplinären und systemischen naturwissenschaftlichen Geographie beschrieben. Grundlage dafür war und ist die Beobachtung und induktive Ableitung.  Als Professor für Geographie ergänzte er die naturwissenschaftlichen um die humangeographischen Aspekte und schuf damit das Gesamtbild der modernen wissenschaftlichen Geographie.

Er hat seine „Anleitung zu Beobachtungen über Gegenstände der physischen Geographie und Geologie“ in dem „Führer für Forschungsreisende“ 1886 aufgeschrieben, der heute noch ein Kompendium für Studierende der Geographie ist.

In Deutschland widmete er sich bei allem Vorrang für die naturwissenschaftlichen Anteile der Geographie der Entwicklung der Geographie insgesamt, die auch die Sozial- und Humanwissenschaften wie Verkehr, Wirtschaft, Siedlung oder regionale Kulturgeschichte einschließt und mit naturwissenschaftlichen Fachbereichen verknüpft. „Dem forschenden Geist gewährt die Erdoberfläche an sich mit ihren vielen Problemen hinreichend  Stoff. Aber die große Mehrheit wird gefesselt durch den Gesichtspunkt, die Erdoberfläche in Verbindung mit dem Menschen zu betrachten, als den Schauplatz seiner Existenz und Geschichte“, sagte er in einer Vorlesung zur Wirtschafts- und Verkehrsgeographie.

Von Richthofen war Professor für Geographie an den Universitäten Bonn und Leipzig. Er gründete 1886 und leitete  dann das Geographische Institut der Humboldt-Universität Berlin. In der Öffentlichkeit engagierte er sich durch die Präsidentschaft der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin und repräsentierte die neue moderne deutsche wissenschaftliche Geographie beim 7. Internationalen Geographenkongress in Berlin, dem er 1899 vorstand. Die heutige Veranstaltung wird mitgetragen als Vorveranstaltung zum 32. Internationalen Geographenkongress, der in diesem Jahr, 113 Jahre nach dem Kongress in Berlin, wieder in Deutschland, und zwar in Köln stattfindet.

Ich danke allen denen, die an der Verwirklichung dieser Gedenkbüste ihren Anteil haben, zuvörderst  als Ideengeber meinem 2009 verstorbenen Kollegen Eberhard Lison, dem seinerzeitigen 1. Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im Verband Deutscher Schulgeographen. Er führte immer wieder Lehrergruppen auf Exkursionen nach Schlesien und stellte fest, dass in dem Geburtsort von Ferdinand von Richthofen kein Hinweis auf den großen Geographen vorhanden war. Seine Gattin ist heute unter uns. Liebe Frau Lison, wir begrüßen Sie herzlich.

Herr Lison machte den Mangel der Deutschen Gesellschaft für Geographie bekannt. Leider hat sie erst nach seinem überraschenden Tod die Initiative angenommen. Im Herbst 2009 erteilte mir das Präsidium das Mandat in dieser Sache.

Meine erste Kontaktaufnahme mit Carlsruhe/Pokój fand Anfang Januar 2010 bei bitterer äußerer winterlicher Kälte statt – aber innerlich wurde mir gleich warm. Denn ich habe hier in Carlsruhe nicht nur offene Ohren gefunden, sondern mit unserer Anregung geradezu offene Türen eingerannt und herzliche und freundschaftliche Unterstützung gefunden. Ich bedanke mich dafür herzlich bei der Bürgermeisterin Frau  Barbara Zając, der Vizebürgermeisterin Frau Joanna Ptaszek, dem gesamten Gemeinderat und der „Gesellschaft Pokój“. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie die Einweihung der Büste und unsere Lehrerveranstaltung in den Rahmen des festlichen „9. Weberfestivals – Festival der Musik für den Park und die Gartendenkmäler Pokój“ gestellt haben. 

Besonders geholfen hat uns bei allen Vorbereitungen, Besprechungen, Vermittlungen und erforderlichen Anpassungen des Programms für diesen Tag heute Herr Hubert Kolodziej, und das unermüdlich zusätzlich zu seinen vielen anderen beruflichen und ehrenamtlichen Verpflichtungen. Lieber Hubert, herzlichen Dank für alles!

Unser Dank geht an Jakub Panitz, dem Künstler, der in der Nachfolge seines verstorbenen Vaters, der noch die ersten Entwurfsskizzen fertigen konnte, die Realisation der Büste übernommen hat. Er hat sich in den Geist und die Persönlichkeit von Ferdinand Freiherr von Richthofen anhand von Bildern, Texten und zeitgenössischen Zeugnissen hineingedacht und das gelungene Abbild eines disziplinierten, zielgerichteten und würdevollen Wissenschaftlers geschaffen. 

Viele andere haben geholfen. Ich möchte mich hier bedanken beim Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland, das über das Konsulat in Oppeln das Vorhaben finanziell ebenso unterstützte wie die Landesverbände Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im Verband Deutscher Schulgeographen. Die Heimatverbände der Carlsruher hier und in Deutschland haben tatkräftig und finanziell mitgeholfen. Viele private Spender haben den einen und anderen Złoty oder Euro beigetragen. Allen gilt der herzliche, aufrichtige Dank der deutschen Geographie.  

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich übermittle Ihnen zu unserem Anlass die Grüße des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Joachim Gauck, der mitteilen ließ: „Ich finde es sehr positiv, dass in Pokój berühmten Söhnen der Gemeinde unabhängig von der Nationalität gedacht wird. Diese Betonung der gemeinsamen Geschichte sorgt dafür, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen weiter gestärkt werden und das Vertrauen in- und zueinander zunehmen wird.“

Der Vorsitzende des Arbeitskreises für Geomorphologie in der Deutschen Gesellschaft für Geographie, Herr Professor Dr. Andreas Vött, grüßt die Veranstalter und die Gäste dieser Feierstunde: „Die synthetisierende Betrachtung geologischer, geomorphologischer und weiterer geographischer Befunde macht Ferdinand Freiherr von Richthofen zu einem der bedeutendsten Geographen schlechthin. (…) Wir sind Ihnen zu allergrößtem Dank verpflichtet, dass Sie das Andenken an unser Vorbild von Richthofen ins aktuelle Licht rücken und freuen uns sehr darüber.“

Serdeczne dzięki!

Geographieuntericht in Deutschland und Polen

Anlässlich der Einweihung der Büste des Geographen und Geologen Ferdinand Freiherr von Richthofen(1833-1905) in seinem Geburtsort Carlsruhe (Schlesien), heute polnisch Pokój, fand am 8. Juni 2012 dort eine Lehrerfortbildungsveranstaltung mit Lehrern/innen aus Deutschland und Polen statt. Sie erbrachte als Ergebnis die „Erklärung von Pokój / Carlsruhe zum Geographieunterricht in Polen und Deutschland“, die den Verantwortlichen für Kultus und Schule in beiden Ländern übergeben wurde. Folgen für Schule und Unterricht wurden im Laufe der Zeit leider nicht erkennbar.

8. Juni 2012
„Erklärung von Pokój / Carlsruhe zum Geographieunterricht in Polen und Deutschland“

Am 8. Juni 2012 haben sich im Rahmen des „9. Weberfestivals der Musik für den Park und die Gartendenkmäler“ in Pokój (Carlsruhe, Schlesien, Polen) anlässlich der Einweihung der Gedenkbüste für den in Carlsruhe am 8. Mai 1833 geborenen Mitbegründer der modernen Geographie als Wissenschaft  Ferdinand Freiherr von Richthofen polnische und deutsche Lehrerinnen und Lehrer des Schulfaches Geographie zu einer Fortbildung  über „Geographieunterricht in Polen und Deutschland“ zusammen gefunden.

In Referaten wurden die Anteile des Unterrichts über das jeweils andere Land im Fach Geographie untersucht.

Inhalte über das jeweils andere Land werden im Geographieunterricht aufgrund der Referate nach Ansicht der Teilnehmer/innen in beiden Ländern eher marginal und nur punktuell in einem bestimmten Schuljahr unterrichtet. Polnische bzw. deutsche regionale Beispiele werden als Grundlage für kompetenzorientierte Schüleraufgaben nur selten herangezogen.  

Obwohl Polen und Deutschland mit ihrer schwierigen gemeinsamen Geschichte in Mitteleuropa eng miteinander verwoben sind, erfahren so die Schüler/innen in beiden Ländern in dem dafür besonders zuständigen Schulfach Geographie nur randlich von den geographischen Verhältnissen im jeweiligen europäischen Nachbarland, seien es  Topographie, Geologie und Meteorologie oder Wirtschaft, Siedlung und Kulturgeschichte.

Die Teilnehmer/innen der Carlsruher Fortbildungsveranstaltung erkennen
darin die Gefahr, dass durch weitgehende Kenntnisdefizite eigentlich längst
der Vergangenheit zugehörige Vorurteile über den jeweiligen Nachbarn nicht
weiter abgebaut werden.

Die Teilnehmer/innen der Tagung appellieren daher an die Verantwortlichen in beiden Ländern in der Kultuspolitik, an die Lehrplanersteller, die Schulbuchverlage und die Autoren ihrer Geographie-Schulbücher, aber auch an den einzelnen Geographielehrer, darauf zu achten, dass Deutschland und Polen mit regionalen Beispielen entsprechend ihrer gegenseitigen Bedeutung als in der EU verbundene, freundschaftlich zugewandte Nachbarstaaten stärker als bisher und kontinuierlich im Geographieunterricht des jeweils anderen Landes vertreten sind. Insbesondere erscheint es uns wichtig, dass auch Kenntnisse über die seit den deutsch-polnischen Verträgen 1990/91 neue Wertschätzung und Pflege der deutschen Tradition und Sprache in der multikulturellen Region Schlesien bei aller Achtung der heutigen territorialen Gegebenheiten vermittelt werden.     

Die geographische Kenntnis vom jeweiligen Nachbarn Polen oder Deutschland kann entscheidend dazu beitragen, dass durch Kenntnisse der physischgeographischen, sozialökonomischen und ökologischen Fakten Vorurteile gegenüber dem anderen weiter abgebaut und im Sinne eines friedvollen europäischen Miteinanders und gegenseitigen Verstehens Verständnis für die Menschen im anderen Land verstärkt aufgebaut und gefestigt werden.

Pokój / Carlsruhe (Schlesien, Polen) am 8. Juni 2012

Büste von Ferdinand Freiherr von Richthofen in seinem Geburtsort Carlsruhe/Pokój (Schlesien/Polen).
Einweihung am 8. Juni 2012

Schulgeographie in der BNE – noch ein Lehrplan….

Vor dem Lesen und Protestieren bitte beachten:

– Geographie ist in der Schule kein Hauptfach.

– Ziel des Geographieunterrichts in der Schule ist es nicht, Geographen auszubilden.


– Geographie wird nur in manchen Schuljahren unterrichtet.


– Geographie hat nur manchmal – wenn es im Stundenplan steht – zwei Wochenstunden zur Verfügung.


– Das Schulfach Geographie kann nicht alles aufnehmen, was Schule fachlich und pädagogisch will (und soll): Alle anderen Schulfächer behalten ihre Notwendigkeiten und ihre fachspezifischen Inhalte – Geographen/innen wissen: Wir können alles – manchmal allerdings nur Geographie nicht…


– Geographielehrer/innen: Habt den Mut zur Lücke! Und denkt daran, was Hattie für uns überraschender Weise gefunden hat: THE TEACHER MATTERS!


– Alle, die Verantwortung für das Schulfach Geographie tragen müssen/sollen/können/wollen: Es ist unsinnig zu fordern oder auch nur den Eindruck zu erwecken, dass die Schulgeographie alle anderen Fächer ersetzen könnte. Wenn Werbung für das Schulfach alles auflistet, was Geographie leisten könnte, kommen wir nie aus dem Loch heraus, in dem wir sitzen. Werdet Realisten! Was kann die Geographie leisten – was gehört davon in die Schulgeographie?

– Die Schulgeographie findet heute ihren Platz in der Schule im Bereich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Dazu gehören die Fächer Biologie, Chemie, Physik, Mathematik, Geschichte, Deutsch, Fremdsprachen, Sport, Kunst, Ethik, Religion, Politik, Wirtschaft – also ALLE. Das ist in zahlreichen nationalen Konzepten von Kultusminsterien auf der Grundlage von Beschlüssen von UNO, Bundes- und Landtagsbeschlüssen festgehalten und soll in Schulcurricula umgesetzt werden. Das zu ändern schafft auch in absehbarer Zeit kein Geographenverband – überhebliche Eingaben und Werbung bewirken Einverständnis nur im direkten Gespräch, aber eher verständnisloses Kopfschütteln schon, wenn die Verhandlungsführer der Geographie den Raum verlassen haben…

– Es bleibt dabei: Weil Geographie ein methodisch und inhaltlich anspruchsvolles Fach ist, muss der Lehrer, der Geographie in der Schule unterrichten soll, eine methodisch und inhaltlich anspruchsvolle Ausbildung erhalten. Nur dann kann er im Einklang mit dem jeweiligen Lehr-/Bildungsplan aus der fachlichen Fülle das für seine Schüler/innen Erforderliche/Notwendige auswählen.

Die organisierte Schul-Geographie hätte die dringliche Aufgabe, (wieder einmal) zu versuchen, einvernehmlich wenigstens unter ihren Mitgliedern eine Übereinkunft zu finden, was Kernaufgabe und Kerninhalte der Schulgeographie sind und welche Möglichkeiten und Fähigkeiten sie in Schule und Bildung einbringen kann, könnte oder soll.

„Die Schule will das Verständnis für das wirtschaftliche und soziale Leben der menschlichen Gesellschaft und ihrer Gruppen und Organisationen und die Gewinnung eines umfassenden Weltbildes vorbereiten. Alle Fächer helfen, wertvolle Anlagen und Kräfte des Schülers freizumachen und zu nützlicher Betätigung zu entfalten. Die Schule beschränkt sich also nicht darauf, Kenntnisse zu vermitteln und den Verstand zu schärfen, ihre Arbeit gilt der Ausbildung des ganzen Menschen. „
(Emil Hinrichs GR 1971, S. 268
)

Anmerkung:
Dieser Lehrplan kann natürlich durch angemessene Erweiterung auf ein gewohntes Lernplanvolumen erweitert werden.

Nachhaltigkeit (2)

Die Eindämmung der Klimakrise ist die zentrale Aufgabe unserer Zeit. Wir brauchen jetzt Klimabildung für alle: in Schule, Uni und Gesellschaft. (…) Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wird von den Vereinten Nationen bereits seit 1992 gefordert. Gemeinssam mit den weiteren Mitgliedsstaaten hat auch Deutschland die globalen Nachhaltigkeitsziele mit der Agenda 2030 beschlossen. Doch echte Taten blieben bis heute aus. Damit Schüler:innen adäquat vorbereitet werden, braucht es aktuell noch immer persönliches Engagement von Lehrkräften. (…) Die Klimakrise passiert jetzt, und deshalb müssen wir dringend lernen, wie wir eine lebenswerte Zukunft und Gegenwart für alle gestalten. (…)

Offener Brief von Leah Tamina Kaiser, Aktivistin der Fridays-for-Future-Bewegung, an Bildungsministerin Frau Anja Karliczek am 14. Mai 2021 (Auszug).

Nachhaltigkeit (1)

„Lernen für Nachhaltigkeit braucht ein Bildungssystem mit einem zentralen Lernfeld, in dem die Ursachen und Folgen langfristiger Entwicklungen in der Vergangenheit analysiert werden. Aus diesem Wissen sind die Unsicherheiten, möglichen Nebenwirkungen und unerwarteten Synergien in der Zukunft abzuleiten – als Grundlage für das notwendige nachhaltige Handeln. Umweltbildung ist zwar als Unterrichtsprinzip in Österreich längst verankert, doch wir sollten sie endlich priorisieren. So können wir dazu beitragen, unseren Kindern und Kindeskindern eine nachhaltige, lebenswerte Zulunft zu ermöglichen.“

Verena Winiwarter [Klagenfurt] und Hans-Rudolf Bork [Kiel]

Geographie und TIMSS

Die neueste TIMSS-Studie bescheinigt deutschen Grundschülerm/innen „Nachholbedarf“ in Mathematik und den Naturwissenschaften – wobei zu den Naturwissenschaften auch das Fach Geographie gezählt wird.

So gut, so (nicht ganz) schön. Aber Geographie wird an Grundschulen kaum als eigenständiges Fach unterrichtet. Geographische Inhalte verstecken sich meistens im Fach „Sachunterricht“. Und es ist einzuwenden, dass Geographie als Schulfach nicht nur zu den Naturwissenschaften zählen kann, weil es zwar viele naturwissenschaftliche Inhalte enthält, aber ebenso viele wirtschafts- und sozialwissenschaftliche, und zwar raumbezogen. Das, was das Fach im Fächerkanon auszeichnet, ist ja geradezu die Verbindung dieser beiden Inhaltsbereiche. Das macht das Fach zu einem besonders wertvollen im Schulalltag, führt es die Schüler/innen doch in das systemische Denken ein. Das kann auch schon im Grundschulalter in Ansätzen geübt werden. Nein, „Brückenfach“ ist es deswegen durchaus nicht, dieses Prädikat beanspruchen auch andere Schulfächer für sich. Aber naturwissenschaftliche sowie wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Inhalte systemisch und raumbezogen verknüpfen – das will die Geographie, dem Alter der Schüler/innen angemessen von der Grundschule bis zum Abitur. Die Tatsache, dass in diesem methodisch wie inhaltlich anspruchsvollen Schulfach in Deutschland „Nachholbedarf“ besteht, kennzeichnet einen Mangel, der sich in wenigen Unterrichtsstunden in den Klassenstufen manifestiert – und das gerade in Zeiten, in denen systemisches Denken geradezu unverzichtbar ist.

Goethe auf Englisch…

Wie schräg ist das denn? Als Motto einer ansonsten deutschsprachigen Geographie-Didaktik-Dissertation wird der deutsche „Dichterfürst“ Johann Wolfgang von Goethe, der ansonsten anerkanntermaßen der deutschen Sprache mächtig ist, zitiert – auf Englisch:

„In nature we never see anything isolated, but everything in connection with something else which is before it, beside it, under it and over it“.

Welchen Grund gibt es, in einer deutschsprachigen Dissertation das Goethe’sche Zitat auf Englisch wiederzugeben…. Oder ob es imagefördernd ist und der Arbeit einen – dem Fachgebiet angemessenen – internationalen Glanz verleihen soll – für den Autor und die Geographie-Didaktik?

 

Neuer Beitrag für den virtuellen Unterricht?

Es erreicht mich der Hinweis aus der Geographiedidaktik auf einen neuen Lehrfilm über die Tropen, der besonders für die Schüler-Heimarbeit oder auch für den Unterricht geeignet sei. Ganz, ganz innovativ. Ich schaue mir den Beitrag an: Strich-Animationen, ein Männeken bewegt den Mund auf und ab, es spricht den erforderlichen Text. Ich erinnere mich an die ersten Animationen aus den 1990er Jahren (oder war es sogar noch früher?), die gerade so daherkamen, aber damals tatsächliche Innovationen darstellten – ich erinnere an Peter Hartleb oder Bruno Pohl… Und die Filme heute: Neu? Dem heutigen Medienangebot angemessen? Reale Filme eingefügt und das Schüler/innen-Interesse geweckt? Keine Spur davon. So will die Geographie-Didaktik das Interesse an der Geographie steigern und für modernen Unterricht beispielhaft sein? Und als I-Punkt: Das Männeken beschreibt die entsprechenden Vorgänge, und dann sagt es den dazu gehörenden Fachbegriff – allerdings mit dem Hinweis, dass man diesen Vorgang „auch“ so und so benennt. Die Drehung der Erde um sich selbst nenne man „auch“ Erdrotation – ja, wie denn sonst? Das ist – wenigstens für mich – ärgerlich, weil dem Fach unangemessen und nicht förderlich… Oder?

In Systemen denken…

Ein Lieblingswort von denen, die dem (Schul-)Fach Geographie eine amgemessene Bedeutung zubilligen wollen, ist „systemisches Denken“. Das sei die eigentliche Methode der Geographie, und sie müsse auch schon in der Schule geübt werden, damit das lineare Denken überwunden werden kann. Nur – wie das so ist bei Äußerungen über die angemessene Bedeutung der Geographie in der Schule: Es passiert nix, und die berechtigte Forderung wird weder von der Kultusbehörde aufgegriffen noch von der Fachwissenschaft „nachhaltig“ unterstützt und bekräftigt. Aber außerhalb von Kultus und Fachwissenschaft wird die Forderung nach systemischem Denken aufgegriffen, kann aber die Schwelle zur Schulwirklichkeit nicht überschreiten, und schon gar nicht wird erkannt, dass das geschundene Fach Geographie in der Schule gerade dieses Denken übt, fördert und vertieft. Das jüngste Beispiel: „In Systemen zu denken und nicht, so wie dies derzeit der Fall ist, in Silos ist der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Welt.“ (William White, ehem. Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsaustausch, In Handelsblatt September 2020.)

Oh, Geographen allerorten, macht was draus!!!

Klimawandel

In Anzeigen wird dieser Tage (Februar 2020) für ein neues Büchlein geworben von Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? (Hamburg, 2. Aufl. 2020). Franzen (geboren 1959) hat als Essayist und Literat zahlreiche renommierte Literaturpreise gewonnen. Er ist Miglied der amerikanischen Academy of Arts and Letters, der Berliner Akademie der Künste und des französischen Ordre des Arts et Lettres. Er lebt in Santa Cruz (Kalifornien). Sein Büchlein wird als „kämpferisches Plädoyer dafür “ beworben, „die Grenzen unserer Möglichkeiten nicht zulasten dessen zu leugnen, was sich erfolgreich verändern lässt“. Das „Spiel“ sei aus, „wir werden den Klimawandel nicht mehr kontrollieren, die Katastrophe nicht verhindern können“ – alles zu spät.

Zu Franzens Buch hat Stefan Rahmstorf eine Kritik für Spiegel-online verfasst:
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/jonathan-franzen-klimawandel-essay-offenbart-falsches-schwarz-weiss-denken-a-1a0a5afa-4c92-437f-9162-3496c5d8ab37

Stefan Rahmstorf (* 22. Februar 1960 in Karlsruhe) ist ein deutscher Klimaforscher. Die Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind Ozeanographie und Paläoklimatologie. Er gehört zu den Leitautoren des 2007 veröffentlichten Vierten Sachstandsberichtes des Weltklimarates (IPCC), wird von Clarivate Analytics zu den meistzitierten Forschern seines Fachgebietes gezählt, gilt als einer der weltweit führenden Ozeanographen und befasst sich mit der globalen Erwärmung und ihren Folgen (wikipedia).

COP25 – war was?

Klima und Wetter sind nach vielfachen Bekenntnissen Zentralbereiche der Geographie an den Schulen. Da stellt sich die Frage: Warum kämpfen die Vertreter der Geographie in Schule und Wissenschaft nicht energisch gegen die unaufhörliche Beschneidung des Schulfaches gerade in Zeiten, in denen Klima und Wetter doch offensichtlch in der öffentlichen Meinung Hochkonjunktur haben? Warum? Hört noch jemand in der Geographie Appelle, z. B. von UN-Generalsekretär Antonio Guterres auf dem jüngst mühsam beendeten COP25 in Madrid: „Wir müssen [Anm.: MÜSSEN] 2020 [Anm.: nicht 2025, 2030, 2035…] liefern [Anm.: Nicht (nur) reden und beschönigen], was die Wissenschaft als Muss festgeschrieben hat, oder wir und alle folgenden Generationen werden einen unerträglichen Preis zahlen.“

Ja, spinnt der denn, oder hat er recht?

Und da ihm „spinnen“ aufgrund seiner herausragenden Funktion und seiner integren Persönlichkeit nicht zuzurechnen ist: Wenn er recht hat: Wo bleibt die laute Unterstützung der Geographie, der Klima und Wetter und damit auch der Klimawandel nach eigenem Bekunden so wichtig sind? Hat sich beispielsweise auch nur ein Fachkollege gegen die Zusammenfassung der rechtlichen Bedingungen gewandt, die den Schulen zu der Bewegung „Fridays for Future“ in Baden-Württemberg zugegangen ist? Ich kenne keine Stellungnahme der Geographie, auch des VDSG-Landesverbandes Baden-Württemberg nicht. Auch wenn die Rechtsabteilung des Ministeriums recht hat – warum erfolgt diese Zusammenfassung der rechtlichen Grenzen – die den Fachkollegen/innen ohnehin bekannt sein sollten – gerade jetzt, gewinnt von ganz alleine ein warnendes „Geschmäckle“ und beeinflusst die Behandlung von Klimawandel und seinen Folgen im Unterricht?

Es müsste doch gerade anders herum die Aufforderung an die Schulen ergehen, im Geographieunterricht aus aktuellem Anlass die fachlichen Grundlagen des Protestes der Jugendlichen allerorten nach unseren fachlichen und pädagogischen Kriterien zu behandeln …

Schade, dass wieder eine Chance vergeben wurde, Geographieunterricht zu stärken.

Fundsache: Ein Leserbrief (2017)

 Leserbrief zu Leitartikel „Die Dreckschleuder“ in DER SPIEGEL 14/2017, S. 8.

Die Aufkündigung des unter internationalen Wehen schließlich zustande gekommenen Klimaabkommens durch den US-Präsidenten ist Wasser auf die Mühlen all derer, die immer noch nicht den unbezweifelbaren Daten glauben. Die öffentliche Reaktion ist vergleichsweise milde. Wie kann das sein? Die Menschheit wird sicherlich nicht am Klimawandel zugrunde gehen. Aber die Menschheit muss mit den Folgen umgehen, die sich abzeichnen, denn Trockenheit, Wolkenbrüche, Missernten oder Meeresspiegelanstieg werden Wanderungsbewegungen als Flucht vor dem neuen, ungewohnten Klima zur Folge haben  – auf die aber der Teil der Erdbevölkerung in den Zielländern, der sich (noch?) in selbstzufriedener Sicherheit glaubt, kaum vorbereitet ist. Versagt (wieder einmal) die Schulbildung? Ersparen wir unseren Schülerinnen und Schülern genaue Kenntnisse des komplexen Themas „Klima“ (vor allem Fächer Physik und Geographie) und die kritische Auseinandersetzung mit den Leugnern des Klimawandels sowie mit seinen sozialen Folgen (Fach Geographie) zugunsten der „Kompetenzorientierung“? Der Stellenwert des Faches Geographie in deutschen Schulen sinkt beständig. Dabei ist es der Ort im Schulalltag, wo naturwissenschaftliche Erkenntnis auf sozialwissenschaftliche  Wirklichkeit trifft, und zwar so unmittelbar wie in keinem anderen Schulfach. Ihren Zusammenhang müssten alle Schülerinnen und Schüler einsehen und verstehen lernen und dazu befähigt werden, ihr Leben nach der Schule entsprechend zu orientieren.

Eberhard Schallhorn, Bretten   

Klima – achja!!??

FAKT ist …! am 11.01.2010 | 22:05 Uhr

Statement Sven Plöger

Vom aktuellen Wetter auf Klima zu schließen, ist absolut falsch. Wetter ist immer das, was wir fühlen können, Klima ein statistisches Mittel über mindestens 30 Jahre. Klima war in der Geschichte der Erde noch nie konstant, es gab schon immer erhebliche Schwankungen und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die klimatischen Verhältnisse auf der Erde auch in Zukunft wieder verändern werden. Dazu kommt aber nun auch noch der Einfluss des Menschen. Die zwölf wärmsten Jahre seit 1890 haben alle seit 1990 stattgefunden und selbst ein „kühles“ 2008 schaffte es noch in die Top Ten. Auffällig ist dabei, dass das Tempo der Klimaveränderungen in den letzten 50 Jahren etwa doppelt so hoch ausfällt, wie die der letzten 100 Jahre. Zudem hat die Häufigkeit extremer Wetterereignisse zugenommen, besonders bei Hitzewellen, Dürren und heftigen Niederschlägen.

Folgen des Klimawandels zu vermitteln, ist wichtige Aufgabe der Bildungspolitik. Fächer wie Geografie, Physik, Chemie und Sozialwissenschaften müssen verknüpft werden. Interesse dafür ist bei Kindern und Jugendlichen sogar ausgeprägter als bei Erwachsenen. Junge Politiker müssen sich des Themas annehmen, weil ältere in gewohnten Denkstrukturen verhaftet sind, in der Wirtschaftswachstum zwingend mit Schadstoffemission verbunden ist. Lässt sich Klimawandel auf radikale Weise abmildern mit Geo-Engineering? Das heißt: Wolkenbildung durch Schwefelpartikel fördern, Sonnensegel im Weltall aufspannen, Kalk in die Ozeane kippen? Plöger warnt vor den unabsehbaren Folgen solcher Maßnahmen.

Zuletzt aktualisiert: 11. Januar 2010, 17:15 Uhr

Wunsch und Wirklichkeit – oder lügen wir uns in die Tasche?

Der Klimawandel und die handlungsorientierte Umsetzung engagierter Schüler machen derzeit Schlagzeilen. Aber warum ist denn die Aufregung so groß und warum beklagen Schüler, dass sie im Unterricht nicht das lernen, was für sie vorrangig zukunftsbedeutsam ist? Das wird dann in der Frage zugespitzt, was alles Lernen denn nutze, wenn nicht gewährleistet sei, dass die von heute morgen überleben können? Ein Blick in die Lehr-/Bildungspläne beruhigt: Es wird alles für die Zulunft Wichtige im Unterricht behandelt, reflektiert, analysiert, systematisiert. Schau’n Sie mal: Der Bildungsplan Gymnasium Baden-Württemberg HIER hat ein tolles Vorwort für das Fach Geographie – eigentlich bräuchte es kein anderes Fach mehr in der Schule, wir Geographen schaffen das allein. Oder? Und jetzt schauen Sie sich bitte die Stundentafel für das Fach Geographie an HIER. Ein Schelm, der Böses entdeckt – wieviele Unterrichtsstunden stehen dem Fach für die Vielfalt der Inhalte, Methoden und Kompetenzen in den Schulen zur Verfügung? Zählen Sie mal….

Wo denn bleibt der Protest der organisierten Geographie, der Öffentlichkeit, der Schüler, die auf den Straßen freitags demonstrieren – für den Unterricht in einem der Geographie ureigensten Thema: Dem Klima?

Wie weit in der Politik das Verständnis für Geographie und die Vermittlung geographischer (= zukunftsbedeutsamer) Inhalte aber auch die Vermittlung von Bildung in der Schule gediehen ist, zeigt eine Äußerung des FDP-Vorsitzenden Lindner über die Schülerproteste für mehr Klimaunterricht und klimagerechtes Verhalten, die am 11. März 2019 durch die Presse geht: „Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen.“

Dann sollten sich unsere Schüler vielleicht am besten mit Spielzeugautos und Sandksten beschäftigen, Lehrer/innen benötigen sie ja nicht mehr, denn man kann ja nicht erwarten… siehe oben.

Unglaublich.

Schülerprotest gegen Klimawandel

Am Freitag, 18. Januar 2019, protestierten bundesweit Schülerinnen und Schüler (=“SuS“) gegen die ihrer Meinung nach zu laschen MAßnahmen gegen den Klimawandel. Sie wurden angeregt von der Aktion „Fridays for Future“. Etwa 25.000 SuS fanden den Mut, sich trotz möglichen unentschuldigten Fehlens in der Schule an diesem Protest zu beteiligen. Einige Parolen lauteten:

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns (man uns) die Zukunft klaut!“

„Klimaschutz statt Kohleschutz!“

„Kohle stopppen – Klima retten!

„Warum lernen ohne Zukunft?“

„Das, was wir hier machen, ist mehr PoWi als alles, was es in der Schule gibt!“ (PoWi = Schulfach „Politik und Wirtschaft“ in Hessen)

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, äußerte sich zu möglicherweise drohenden Schulstrafen wegen unentschuldigten Fehlens: „Das (der Protest der SuS) ist was Positives! Ich freue mich, wenn sich Schüler politisch engagieren.“ Und er fügte hinzu, wie er das Vergehen gegen das Schulgesetz ahnden würde: Protestierende SuS, die den planmäßigen Unterricht versäumten, müssten den Unterricht nachholen – in Form von einer Diskussionsrunde über Klimaschutz.

Glückunsch an die SuS, die den Mut zum Protest hatten – und Respekt vor der angedeuteten pädagogischen Handhabung durch Schulleiter Meidinger!

Klima – Witterung – Wetter: Plötzlich aktuell und „völlig“ neu…

Kaum eine Zeitung oder Zeitschrift lässt sich die Themen „Hitze“ und  „Klimawandel“ in diesen Tagen entgehen. Eine Auswahl:

Der Sommer, der nie endet (DER SPIEGEL)
Abschied vom Wald. Der Klimawandel wird zum weltweiten Brandstifter. (der Freitag)
Fluchtursache Klima (Handelsblatt)
Land in Not. Die Dürre ruiniert die Ernte. Werden noch alle satt? (Frankfurter Allgemeine Woche)
Ebbe an der Elbe. Für Fische und Schiffe wird es eng in deutschen Gewässern. (Frankfurter Rundschau)
Zukunft im Schwitzkasten. Der heiße Somme führt uns die Folgen des Klimawandels vor Augen. (DIE ZEIT)

Ich finde aber keine Tages- oder Wochenzeitung, in der darauf hingewiesen wird, dass Klima, Witterung und Wetter originäre Themen des Geographieunterrichts an den Schulen sind, die sich zusammen mit Physik, Geschichte, Ethik und Politik auch bestens zum projektorientierten und fächerübergreifenden Unterricht eignen. Die Erde als Ökosystem ist Inhalt des Geographieunterrichts. Klimawandel und seine Folgen ist Inhalt des Geographieunterrichts. Wenn diese Inhalte (wie wichtige andere der UN-Weltziele) nur rudimentär in den Schulen behandelt werden, dann liegt es nicht am Geographie-Fachlehrer, sondern an der miserabel-geizigen Stundenausstattung des Faches Geographie, das heute immer noch als eher nebensächliches Erdkäse-Fach behandelt wird – obwohl hier das Fach ist, das den Schülern die brennenden Zukunftsfragen der Menschheit auf diesem Planeten deutlich machen soll, kann und muss, auch wenn das nicht allen Schülern gefällt. Denn letztlich lernen sie, dass sie ihr Verhalten ändern müssen, und das ist ein schwieriges Unterfangen, an dessen Umsetzung die Anfangsfrage steht: „Warum ich? Die anderen machen’s doch auch nicht.“

Unverständlich bleibt auch, warum die Fachverbände der Geographie nicht vernehrmbar in der Öffentlichkeit auf diesen eigentlich unverständlichen Mangel an geographischem Unterricht hinweisen. „Geographische Bldung tut Not“,  heißt es – aber keiner der für die Geographie Verantwortlichen hat den Mut, in den Periodika (siehe oben) das Thema „Mehr Geographie in die Schulen!“ vernehmbar aufzugreifen.

Dann müssen wir uns nicht wundern, dass die breite Bevölkerung von Klima, Witterung und Wetter nichts versteht, aber auch, dass Themen wie Migration, Armut, Verkehr, Städteentwicklung, Landwirtschaft, Flugtourismus….  keine Themen sind, die Menschen zum Nachdenken bringen.

Warum fühlt sich die deutsche Geographie in ihrem wissenschaftlichen Elfenbeinturm so wohl und merkt nicht, dass ihre wichtigen Themen von anderen Fachbereichen dankbar übernommen werden?

Eberhard Schallhorn

 

Geographie unbekannt?

Das neueste Heft „Aus Polititk und Zeitgeschichte“ (Nr. 32-33/2018, 6. August 2018) steht unter dem Titel „Inseln“. Da möchte man doch meinen, das sei ein geographisches Thema, und erwartet auch einen Beitrag eines führenden Geographen.  Weit gefehlt: Von den 14 Verfassern der Beiträge sind

5 Politikwissenschaftler,
3 Historiker,
sowie je
1 Ethnologe, Psychologe, Theologe, Jurist, Kulturwissenschaftler, Sprachwissenschaftler.

Ist den GeographInnen diese Zeitschrift zu weit unter ihrer Würde? Kennen die Verantwortlichen dieser Zeitschrift keinen GeographIn, den sie ansprechen könnten? Ist das Thema „Inseln“ ohne Beitrag der Geographie auch nur annähernd „relevant“ angesprochen?

Fragen ohne Antworten.

Geographische Bildung

 

Es bleibt die Frage, was denn das nun ist: „Geographische Bildung.“  Die Antwort ist ebenso schwierig zu formulieren wie die nach  dem, was „Bildung“ insgesamt ist.  Aber man könnte sich vielleicht so einigen:

Geographische Bildung
– ist Wissen um die physische Beschaffenheit unseres Planeten und die Wirkung des Menschen auf ihm,
– ist die Fähigkeit, systemisch, Natur- und Sozialwissenschaften verbindend,  in lokalen, regionalen oder globalen Zusammenhängen zu denken,
– ist die Bereitschaft, entsprechend diesem Wissen und dieser Fähigkeit nachhaltig zu handeln.

In der Schule müsste schon den jüngeren Schülern  an Beispielen verdeutlicht werden, dass nur das Denken in Zusammenhängen richtige Einsichten vermittelt. Die Beispiele müssten dann mit zunehmendem Alter in ihrer  Schwierigkeit und ihrer globalen Lokation angepasst werden, wobei die Maßstäbe der Betrachtung von groß über klein wieder zu groß, die Raumauswahl  ähnlich von lokal über regional/global wieder zu lokal variieren sollten.  Im jeweiligen Lehr-/Bildungsplan sollte genügend Raum angeboten werden zur Behandlung aktueller  geographischer Probleme.

Das Problem, das sich – bei aller Unwägbarkeit und möglicherweise subjektiven Sicht – ergeben könnte und hier nicht verschwiegen werden darf und soll: Die Fähigkeit, in Zusammenhängen lokal/regional/global zu denken und zu argumentieren, stärkt auch die Bereitschaft schon der Schüler/innen und erst recht der Bürger/innen zu kritischem Denken im Alltag, beispielsweise über die Herkunft und Vermarktung alltäglicher Produkte oder bei der ökonomischen und planerischen Entwicklung der Heimatgemeinde. Das könnte zu verstärkter Mitwirkung bei der demokratischen Meinungsbildung führen. Sicherlich gäbe es auch Verwaltungen und Unternehmen, die über diese gesteigerte Mitsprache erfreut sind und die Meinungen in ihre Entscheidungsfindung einbinden.

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Wettbewerbe

Wettbewerbe

Ein gern benutztes Medium dafür, öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit zu erlangen und zugleich den Vereinszweck – hier: Geographische Bildung stärken – zu erreichen, ist die Kreation neuer oder die Mitwirkung an bestehenden Wettbewerben.  Der VDSG beteiligt sich seit Jahren erfolgreich durch Preisstiftungen am Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ und am Bundesumweltwettbewerb. Ebenfalls seit längerer Zeit führt der VDSG die Wettbewerbe Diercke  iGeo und Diercke wissen! durch. Beides sind bundesweit ausgeschriebene Wettbewerbe. Bei iGeo geht es um die Benennung einer deutschen Schüler/innen-Mannschaft für die Teilnahme an der Geographie-Olympiade, die von der International Geographical Union jährlich an einem anderen Ort auf der Erde durchgeführt wird.  Der Wettbewerb Diercke wissen! wird für alle Schulen in Deutschland und die deutschen Schulen im Ausland ausgeschrieben. Die teilnehmenden Schulen ermitteln durch zentral gestellte Aufgaben den jeweiligen Schulsieger; die Landesverbände des VDSG küren dann jeweils einen Landessieger; alle 16 Landessieger und der Sieger der deutschen Auslandsschulen nehmen am Bundeswettbewerb teil, und der Sieger wird schließlich zum „Besten Geographieschüler Deutschlands“ erhoben.  Die Preise für die Sieger des iGeo-Wettbewerbs (Flug, Aufenthalt, Teilnehmergebühr) kann der VDSG alleine  ebenso wenig stemmen wie die Durchführung des Diercke wissen! – Wettbewerbs. Deshalb hat sich der bedeutende Schulbuchverlag Westermann  dazu bereitgefunden, die  Wettbewerbe maßgeblich zu unterstützen; hinzu kommt noch bei iGeo die Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Geographie.

Die bundesweite Öffentlichkeit nimmt von der engagierten Durchführung der geographischen Wettbewerbe kaum Notiz – damit aber ist ein wesentlicher Gesichtspunkt der Übernahme des Organisationsaufwandes für solche Veranstaltungen kaum erreicht, nämlich die erhöhte Aufmerksamkeit für die notwendige Stärkung der  geographischen Bildung und damit der Schulgeographie zu erzeugen. Da Diercke iGeo zur Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb führen soll, ist die Wettbewerbssprache Englisch – was wiederum nicht zu einer hohen, öffentlichkeitswirksamen  Teilnehmeranzahl führt. Diercke wissen! ist allerdings einer der teilnehmerstärksten Schüler-/innen-Wettbewerbe Deutschlands, was sich aber gleichermaßen nicht in der öffentlichen Wahrnehmung spiegelt.

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Internationale Wirtschaftsabkommen

Internationale Wirtschaftsabkommen
Ein Thema, das in der Schule angesichts seiner überragenden Bedeutung für die globalisierte Wirtschaft zu kurz kommt (weil der Geographie dazu die Stunden fehlen), sind die Internationalen Wirtschaftsabkommen und die Bedeutung der WTO oder der internationalen Währungsinstitutionen. Es ist unumgänglich, dass unsere Schulen über deren Organisation und die Zusammenarbeit der Staaten in den Wirtschaftsunionen unterrichten, weil sich durch die Zusammenarbeit in diesen internationalen Zusammenschlüssen in der Regel die friedliche Koexistenz manifestiert. Die „Blöcke“ unserer Welt sind weitgehend auch Wirtschaftsblöcke. Was bedeutet es für die Wirtschaft eines Staates, von der Gemeinschaft eines solchen Blockes ausgeschlossen zu sein? Was bedeutet es für die Gemeinschaft, wenn ein wichtiger Partner sich anders orientiert? Die Geographie kann analysieren und urteilen, kann Hintergründe offensichtlich machen und wirtschaftliche Grundeinsichten vermitteln – warum nicht auch zusammen mit dem in einigen Bundesländern neuen Unterrichtsfach „Wirtschaft“?

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Globalisierung

Globalisierung
Ein besonderes Problem unserer Zeit ist die „Verdichtung von Raum und Zeit“, wobei in der Geographie insbesondere die Verdichtung des Raumes bedeutsam ist: Durch verbesserte Verkehrsbeziehungen schrumpfen die tatsächlichen Distanzen zwischen A und B ebenso dramatisch wie sich der globale Informations- und Kommunikationsfluss durch die Digitalisierung beschleunigt. Die Kommunikation und wirtschaftliche Verbundenheit zwischen weit entfernten Orte werden „in Echtzeit“ abgewickelt. Der Geographieunterricht hat die Aufgabe, den Schülern zumindest in Ansätzen den Widerspruch zwischen den wahrgenommenen geschrumpften Distanzen auf der Welt und der Tatsache zu vermitteln, dass trotzdem die staatlichen und kulturellen Unterschiede nicht aufgehoben sind. Ein Urlauber, der in wenigen Flugstunden sein Urlaubsziel in einem islamischen Staat erreicht und in der Urlaubskleidung, in der er „zu Hause“ in das Flugzeug gestiegen ist, am Zielort aussteigt, darf sich nicht wundern, wenn er Ablehnung erfährt. Ein Geschäftsmann, der in relativ wenigen Flugstunden von Europa in andere Gebiete der Welt fliegt, muss über die kulturellen Gewohnheiten am Zielort informiert sein, wenn seine Mission nicht scheitern soll. Die Kenntnis über die Möglichkeit internationaler Konzerne, sich dort anzusiedeln, wo sie die für sie insgesamt günstigsten Bedingungen vorfinden, gehört zur geographischen Bildung und muss im Geographieunterricht vermittelt werden. Dazu gehört auch die Reflexion über das „weltweite Internet“, das in weiten Gebieten der Welt gar nicht weltweit ist, oder die kritische Kenntnis über die Korrespondentendichte von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen und damit über die Herkunft und Entstehung der Nachrichten „aus aller Welt“.

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Externalisierung

Externalisierung
Auch wieder so ein Stichwort, das den Bildungs- und Finanzministern ein Argument liefert, dass die Geographie in der Schule gekürzt gehört: Denn wer will schon, dass unsere Jugend in einem Fach immer nur Negatives über das Verhalten der Menschen hört? Geographieunterricht kann, nein: muss bewusst machen, dass unser Reichtum hier und die Armut in weiten Teilen der Welt die beiden Seiten einer Medaille sind: Wenn einer gewinnt, verliert ein anderer. Das ist schon die Erfahrung beim Mensch ärgere dich nicht-Spiel. Der Beispiele für die Externalisierung, die Auslagerung von Risiken aus unserer Wohlstandsgesellschaft zu Ungunsten der Menschen in anderen Teilen der Welt, gibt es viele, beispielsweise: Rodung des tropischen Regenwaldes zur Gewinnung von Holz, Palmöl, Anbauflächen für Soja mit allen Folgen für die ursprünglich subsistent wirtschaftenden indigenen Bewohner. Gewinnung von seltenen Erden unter menschenunwürdigen Bedingungen für unsere Hochtechnologie. Miserabel bezahlte Arbeit bei schlechtesten Arbeitsbedingungen für Näherinnen in Bangladesch für unsere preisgünstigen T-Shirts. Einsatz von Pflanzenschutz-  oder Düngemitteln bei großflächigem Anbau von Hybridpflanzen, mit allen Folgen für deren Hersteller und die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Das alles ist Wissen, das für die Menschen heute unverzichtbar ist, wenn sie die Kompetenz erlernen sollen, sich nachhaltig zu verhalten.  Das zuständige Schulfach: Geographie.

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Tourismus

Tourismus /Overtourism
Zu Zeiten, in denen sogar die deutsche Schulferienregelung Rücksicht auf die touristischen Gewohnheiten nimmt, erscheint es besonders schwierig, aus geographischer Sicht über Sinn und Unsinn, Fluch und Segen des Tourismus zu unterrichten. Gleichwohl, auch das muss Inhalt des Geographieunterrichts sein. Niemandem soll sein wohlverdienter Urlaub vergrault werden, aber der Geographieunterericht muss die Folgen des touristischen Verkehrs in der Luft und auf dem Land in den Blick nehmen, muss bewusst machen, dass das verwöhnte Leben der eingeflogenen Touristen erhebliche Veränderungen der Lebenssituationen der Menschen in der Urlaubsregion zur Folge hat, muss umweltverträgliche Möglichkeiten für eine nachhaltige Erholung – sanften Tourismus – aufzeigen.  Was bedeutet es für die 71000 Einwohner von Benidorm, wenn jährlich um die 3 Mio bade- und vergnügungssüchtige Urlauber in ihre Stadt strömen? Warum haben die Einwohner von Mallorca erstmals im September 2017 Transparente hochgehalten: „Touristen raus!“? Gibt es Grenzen für die Ausweitung der Touristenströme? Der Geographieunterericht darf nicht verschweigen, dass manche Hochburgen des Tourismus noch immer heilige Stätten der dort lebenden Bevölkerung sind, die es zu respektieren gilt: Machu Picchu wird in der Hochsaison inzwischen täglich von bis zu 4000 Touristen „besucht“ – ursprünglich war das heute „übervölkerte, laute Freilichtmuseum“ Oase der Stille und eine der wichtigsten religiösen Stätten der Inka, in der etwa hundert Priesterinnen und Priester ihren Gottesdienst mit Gebeten und Flötendienst verrichteten. Oder der Touristenmagnet Ayers Rock im Herzen Australiens: Uluru, den „heiligen Berg“, suchen jährlich an die 250000 Touristen auf, von denen gut jeder zehnte nicht widerstehen kann, das Heiligtum der Aborigines in Freizeitkleidung und mit Photoapparat zu erklettern und oben zu picknicken. Das soll ab 2019 allerdings (endlich) verboten werden. Welche Auswirkungen auf die indigenen Bewohner des tropischen Regenwaldes haben die in Mode gekommenen „Amazonas Lodges“? Der Beispiele gäbe es viele. Unterrichtsort in der Schule wäre der Geographieunterricht. Kann er das in der ihm heute zugestandenen Unterrichtszeit leisten? Übrigens: In welchem Schulfach wird „Tourismus“ – wie sagt man heute – „problematisiert“ und „problemlösungsorientiert“ unterrichtet? Raten Sie mal… Leicht zu erreichen: „Reisen und Tourismus“ in: APuZ Nr. 50/2021 v. 13. Dezember 2021.

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EU, Brexit, Regionen

EU, Brexit, Unterschiedlichkeit der Regionen
Ist den für Bildung Verantwortlichen eigentlich bewusst, dass die fatal geringe Bedeutung der Behandlung der Europäischen Union im Unterricht unserer Schulen – und wo denn bitte sonst als grundlegend im Geographieunterricht, dem dazu aber keine Zeit gegeben wird…. – ebenso fatale, wenn nicht schlimmere Folgen in den Köpfen der späteren Bürger hat? „Wer die deutsche Innenpolitik verfolgt, der kann nur erstaunt darüber sein, wie wenig die Tatsache der Abhängigkeit des Landes, seiner Wirtschaft und Politik vom Gelingen der EU, des Euro und der deutsch-französischen Beziehungen ins kollektive Bewusstssein Deutschlands und seiner politischen Elite eingedrungen ist.“ So der ehemalige Bundes-Außenminister Joschka Fischer. Aber woher soll denn dieses Bewusstsein über die Bedeutung der EU für Deutschland und seine Zukunft (und darüber hinaus für den Frieden in Europa und der Welt) kommen, wenn die EU weder topographisch noch im umfassenden (synthetisch-komplexen) geographischen Sinn in der Schule Thema ist? „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ – heißt es im Volksmund. Wer in der Schule kaum von der Bedeutung der EU für uns gehört hat, der wird als Erwachsener den Wert der europäischen Einigung und Zusammenarbeit nicht erkennen – denken wir an Frankreich, wo die Ergebnisse der jüngsten Wahlen hart daran vorbeigeschrammt sind, eine Partei an die Staatsspitze zu stellen, die EU, Euro oder deutsch-französische Partnerschaft insgesamt tölpelhaft über den Haufen werfen wollte. Und in Deutschland wird eine ebensolche dumpfe Partei für alle sichtbar immer stärker! Wo sind die Geographen, die den Verantwortlichen klarmachen, dass es hier eine unverantwortliche Lücke in der Unterrichtung unserer Schüler/innen gibt, die nur gefüllt werden kann, wenn das Thema EU massiv im Geographieunterricht der Schulen verankert wird?

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Landschaftsökologie

(Landschafts-) Ökologie
Es erscheint durchaus bedauerlich, dass der landschaftsökologische Arbeits- und Betrachtungsansatz (Carl Troll 1939) nicht in der Geographie, schon gar nicht in der Schulgeographie Fuß gefasst hat.  Als Carl Troll ihn erstmals formulierte, forderten die politischen Zeitumstände andere Prioritäten, und nach dem Neuanfang 1945 standen die Zeichen der Zeit in der Geographie eher auf der länderkundlichen Betrachtungsweise, vor allem in der Schule. Auch nach Kiel 1969 (siehe oben bei „2018 – beinahe 50 Jahre nach Kiel“) war Landschaftsökologie ein nur von wenigen Geographen vertretener Ansatz, obwohl er gerade für den Geographieunterricht viel versprechend war: Denn die synthetische komplexe Verknüpfung natur- und sozialwissenschatlicher Items einschließlich dem Wirken des Menschen bedarf gründlicher Analyse und umfangreicher Recherche, die den höchstens zweistündigen Geographieunterricht möglicherweise auch überforderte. Aber in Ansätzen ist die landschaftsökologische Betrachtungsweise im Geographieunterricht  zumindestens beispielhaft und je nach Altersstufe der Schüler auch mit unterschiedlich umfangreichen Vorgaben durch den Lehrer, das Lehrbuch oder Internet-Recherche möglich. Als gut geeignete, überschaubare Raumbeispiele bieten sich etwa an die mediterrane Kulturlandschaft oder die Oase oder der tropische Regenwald. Die heute hier und dort geforderten „Verlaufsschemata“  oder „Wirkungsgefüge“ sind schwierige, aber fachgerechte Überbleibsel des Landschaftsökologie-Ansatzes, die es eigentlich zu pflegen und auszuweiten gilt, denn hier wird nun tatsächlich geographisch gearbeitet und werden geographische Erkenntnisse vermittelt. Ob sie aber in die Zeit der bildungspolitisch gewollten absinkenden fachlichen Anforderungen in der Schule passen, bleibt fraglich.

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Stadt, Land, Fluss

Stadt, Land, Fluss
Ein hübscher Zeitvertreib für zwischendurch: Mindestens zwei Spieler; der eine sagt „A“ und spult murmelnd das Alphabet ab, der andere sagt irgendwann „Stop!“, und der Buchstabe, den der andere gerade murmelte (oder vorgibt, gemurmelt zu haben), ist Wortanfang von Namen für Stadt, Land, Fluss oder was den Spielern sonst noch lieb und teuer ist (Beruf, Blume, Möbelstück, Popstar…). Jedes Genannte bekommt je nach Absprache einen oder mehr Punkte. Wenn die Spielzeit vorüber ist, werden die Punkte addiert und Gewinner ist der mit der höchsten Punktzahl. Auch wenn der Name des Spiels es vermuten lässt:  Die Nennung singulärer topographischer Einzelheiten ohne weiteren Raumbezug hat mit Geographie höchstens so viel zu tun wie die servierfertige Zubereitung einer Supermarkt-Tiefkühlpizza mit der Kochkunst eines Mehrsternekochs. Im Unterricht hat dieses Spielchen höchstens Platz in einer (schlecht organisierten und leichtfertig den Fachunterricht ersetzenden) Vertretungsstunde.

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Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit
Der Verband Deutscher Schulgeographen kennzeichnet sich als Verband für „Nachhaltigkeitserziehung“. Dieser Formulierung folgen allerdings nicht alle Landesverbände. Der Begriff „nachhaltig“ stammt ursprünglich aus der Forstwissenschaft, wurde aber im Jahre 1987 von der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung unter Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland in ihrem Bericht „Our Common Future“ in die damals aufkommende Umweltdebatte eingebracht. Unter Nachhaltigkeit verstand man die Befriedigung der Bedürfnisse der Gegenwart, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Heute wissen wir, dass nachhaltiges Wirtschaften und Verhalten unumgänglich sind, aber für die reichsten Nationen der Welt Verzicht bedeuten müssen:  Wenn wir für die gesamte Menschheit den Wohlstand durchsetzen wollen, den die reicheren Länder heute genießen, müssten wir über mindestens drei weitere Planeten wie die Erde verfügen. Wir können nicht unendlich wachsen. An der Universität Lüneburg gibt es bereits das Studienfach „Nachhaltigkeit“, und aus dem Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung heißt es, dass das Thema Nachhaltigkeit immer stärkere Bedeutung in der Wirtschaft erlangt: Organisation, Herstellung und Vermarktung von Produkten verlangen heute nach dem Prädikat „nachhaltig“.

Das Schulfach Geographie will und muss das den Schülern als eine seiner Hauptaufgaben vermitteln, stößt aber zu oft immer noch auf ablehnende Reaktion, denn die jungen Menschen wollen das konsumieren, was ihnen ihr marktwirtschaftlich orientiertes Umfeld anbietet, nachhaltig oder nicht. Der Geographielehrer übernimmt hier eine schwierige, aber notwendige Aufgabe, weil sie zu seinem Fachverständnis gehört. Damit handelt er noch gegen den ökonomischen Mainstream, der inzwischen auf die fragwürdige Formulierung „nachhaltiges Wachstum“ setzt. Der Geographieunterricht  erhält dafür aber keine  Anerkennung der gesellschaftlichen Institutionen, deren Vertreter gerne in Sonntagsreden von der Notwendigkeit der Nachhaltigkeit sprechen – was aber weitgehend formelhaft bleibt, denn es gehört wohl heute schlicht zum politischen „Sprech“.

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Exkursionen

Exkursionen, Feldarbeit, Arbeitsgemeinschaften, Geographie im Landschulheim…
So hieß das früher, wenn man/frau mit der Klasse Geographieunterricht „draußen“, nicht „vor“ Ort, sondern „am“ ausgewählten Ort veranstaltete. Mit klarer Aufgaben- und Fragestellung, angemessener Vorbereitung, themagerechter Raumauswahl und Aussicht auf  öffentliche Darstellung der Ergebnisse war das eines der Highlights im Schuljahr. Heute scheint es, dass derlei Aktivitäten, die nicht nur das Fachliche, sondern auch das Sozialverhalten der Schüler verbessern und stärken, kaum noch in den Schuljahresablauf passen mit seinen stringenten Klassenarbeitsterminen oder dem ständigen Druck, den Bildungs-/Lehrplan zu erfüllen. Zum Glück weht wieder Besserung aus den USA in die deutsche Geographiedidaktik: Ende 1990 ist wohl an der Harvard-Universität das erfunden worden, was als „Expeditionary Teaching“ oder „Expeditionary Learning“ endlich auch seinen in die Zeit passenden Namen gefunden hat. Wie immer aber die Bezeichnung heißen mag: Eine amtliche Übernahme in die Lehr-/Bildungspläne der Länder mit entsprechendem Anspruch auf die Genehmigung der Veranstaltung durch die Schule und auf erforderlichen Kostenersatz gibt es nur vereinzelt – und die Forderungen der organisierten Geographie dafür sind nicht vernehmbar.

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PISA…

PISA, OECD, empirische Bildungsforschung, Kompetenzen…
Die seit PISA 2000 von der OECD in die deutsche Bildungslandschaft erfolgreich implementierte Vermessung der Schülerleistungen ist nicht nur ein Problem des Unterrichtsfaches Geographie, sondern von Schule insgesamt. Darauf hier näher einzugehen, würde den selbst gesetzten Rahmen dieser Darstellung sprengen. Ich verweise auf Hans Peter Klein: Vom Streifenhörnchen zum Nadelstreifen. Springe 2016. Seine Darstellung provoziert bei den einen heiße Zustimmung, bei anderen gellende Ablehnung. Kostprobe gefällig? Hier: „Die empirische Bildungsforschung hat daher seit der Jahrtausendwende einen bislang nicht für möglich gehaltenen kometenhaften Aufstieg vollzogen, denn sie betreibt das Geschäft der Politikberatung mit ebenso großem Erfolg. Die Einführung des PISA-Konzepts der OECD in das deutsche Bildungssystem wurde überraschenderweise ohne jede demokratische Legitimation und unter geschickter Ausschaltung einer zu erwartenden breit angelegten Diskussion im Rahmen einer soft governance vollzogen. Kritiker wurden erfolgreich als Ewiggestrige oder Querulanten abgetan.“ (Klein 2016, S. 87)

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Weniger kognitive Inhalte in der Unterstufe

Weniger kognitive Inhalte in der Unterstufe, sondern Interesse wecken und staunen lassen über die Welt
Es gibt ein schönes Gedicht des Romatikers Novalis: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen…“ Warum behandeln wir mit unseren jüngeren Schülern  Bevölkerungszahlen, Wirtschaftszahlen, Flächenzahlen, Klimazahlen – Zahlen allüberall? Es wäre für die Geographie förderlicher, wenn wir es fertig brächten, in den unteren Klassenstufen bei den Kindern Interesse und Staunen über die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse auf der Erde  und über herausragende Naturphänomene zu wecken, und wenn dann im Mittelpunkt der Inhalte nicht Erwachsene, sondern Kinder stehen würden, wären die vielfältigen Inhalte doppelt hinreichend, um das Interesse für ein großartiges Fach in der Schule zu wecken. Die Forderung erscheint verwegen: Bis in die Unterstufe hinein mehr „Bauch“ und weniger „Kopf“ – aber immer Geographie, und nicht nur Pillepalle! Fragen Sie doch mal Ihre Schüler in der 5. oder 6. Klasse, warum auf Fußbällen neben „Made in Pakistan“ der Vermerk steht: „Ohne Kinderarbeit hergestellt.“

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Didaktisches

Didaktisches
Vom Nahen zum Fernen ist ein Vorschlag zum methodischen Vorgehen im Geographieunterricht. Es gibt deren unzählige, und kaum ein Didaktiker versäumt es, sein eigenes didaktisches Prinzip als „das richtige“ hinzustellen. Nun ist es unzweifelhaft, dass beispielsweise im Fach Englisch zunächst die sprachlich-grammatischen Strukturen der Fremdsprache geklärt, dazu angemessen Vokabeln gelernt werden müssen, bevor literarische Texte gelesen werden. Oder dass ein sinnvoller Aufbau der Inhalte im Fach Mathematik erforderlich ist – keine Frage, ein Schüler muss zuerst „rechnen“ lernen, bevor er an Aufgaben der höheren Mathematik geführt werden und im mathematischen Denken geübt wird. Im Fach Geographie ist eine Hierarchie der Schwierigkeiten eines Inhalts im allgemeinen nicht angemessen – sie ergibt sich durch die Tiefe der inhaltlichen Betrachtung. Der Fachlehrer kann z.B. das Phänomen „Stadt“ in Klasse 5 behandeln, aber auch in Klasse 12 – nur die Aspekte der Betrachtung werden in der oberen Klassenstufe weitaus komplexer sein als in der unteren. Darum kann die Behandlung des Heimatraumes sowohl in einer unteren wie einer oberen Klassenstufe erfolgen – und weil die Behandlungstiefe dem Alter der Schüler angemessen und damit unterschiedlich sein muss, wäre die wiederholte Behandlung „unten“ und „oben“ angemessen – beim Beispiel „Stadt“ hier die Lage und Physiognomie, dort die Lagebeziehungen, die historische Stadtentwicklung, Besonderheiten der Stadtstruktur, Stadtklima, Verkehrsproblematik, alles möglichst verbunden mit eigenen Erkundungen der Schüler.

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Vom Nahen zum Fernen

Vom Nahen zum Fernen?
Es gab einmal einen Kultusminister in einem deutschen Bundesland, der gegen die Geographielehrerschaft seines Landes das Prinzip vom Nahen zum Fernen durchsetzte – und dann behauptete, der Neckar münde bei Heidelberg in den Rhein.  Oder forderte, den heimischen Bauernhof in der Schule als Seele der Heimat darzustellen: Das schnurrende Kätzchen auf der Fensterbank, die glücklichen Hühner auf dem Hof, das niedliche Lämmchen als Streichelzoo für die Kinder und zufriedene Schweine, die sich im Matsch suhlen. Welch Erstaunen, als er feststellte, dass die Schweine unter künstlicher Beleuchtung im Stall hermetisch abgeriegelt Fleisch ansetzten, für ein Huhn der Platz eines DIN A4-Papiers ausreichen musste und  Viehfutter mitnichten von friedlich um den Hof liegenden Feldern kam, sondern per Lastwagen aus dem nicht weit entfernten Hafen abgeholt wurde, wohin es per Schiffsladung um die halbe Welt aus dem fernen Südamerika angeliefert worden war. Kinder im Unterstufenalter wollen Geschichten vom Leben der Menschen in der Ferne erfahren: Wie leben die Menschen im „Urwald“? Wie in der Wüste? Wie lebt es sich in einer „Megacity“? Und dann könnte der Lehrer auch das eigene Verhalten spiegeln: Wo bleibt unser Müll? Welche Auswirkungen hat der Tourismus dort, wo alle zugleich hinwollen? Warum haben die Autos meistens Vorfahrt? Vom Nahen zum Fernen müsste auf den Kopf gestellt werden: In der Unterstufe die Ferne, in der Oberstufe die Nähe – die es dann auch in eigener Projektarbeit zu erarbeiten gilt. Ausgewiesene Geographie-Didaktiker bekommen cholerische Anfälle, wenn im Geographieunterricht der Unterstufe Karl May oder Sven Hedin – deren Biographie wir kennen – vorgelesen und dann natürlich gemeinsam besprochen werden. Aber sie mucken nicht auf, wenn Abiturienten den Leistungskurs Geographie absolvierten und schließlich doch nicht wissen, wie ein Bebauungsplan oder der Flächennutzungsplan der Heimatgemeinde gelesen wird.

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