Das geowissenschaftliche Profil des allgemeinbildenden Gymnasiums

Aus der Festrede in der Veranstaltung „100 Jahre VDSG“ in Gotha

(siehe hier unter „Für eine starke Geographie“):

Schließlich mag es heute, 100 Jahre nach der Gründung des Verbandes Deutscher Schulgeographen, angemessen sein, einen Vorschlag zu wiederholen, der zwar nicht – wie die Forderung nach zweistündigem Geographieunterricht – 100 Jahre, aber inzwischen doch 15 Jahre alt und auch nicht realisiert worden ist. Man mag einwenden, dass nach einer so kurzen Zeit Ungeduld fehl am Platze sei.

Nach Zeiten strenger Regelungen für Schulen, was Lehrpläne, Bildungspläne oder Stundentafeln betrifft, befinden wir uns in einer Phase der Individualisierung der Schulen. Die Schulen entwickeln jeweils ihre eigenen Leitbilder, in denen bei aller Gleichheit doch ein jeweils eigener Akzent in ihrer Erziehungs- und Bildungsarbeit sichtbar wird. Ein vom Ministerium vorgegebenes „Kerncurriculum“  wird von der Kollegenschaft einer Schule um ein „Schulcurriculum“ ergänzt, das es der Schule erlaubt, eigene inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Einige Unterrichtstunden können von den Schulen nach eigenen Vorstellungen den Unterricht in Fächern oder in einem fächerverbindenden Bereich ergänzen.

Das allgemeinbildende Gymnasium ist der Grundtyp der Schulart „Gymnasium“. Sie ist weiter aufgeteilt in weitere Typen mit bestimmten Profilen, beispielsweise das sprachliche, naturwissenschaftliche, musisch/künstlerische , technische, sozialpädagogische oder Sportgymnasium. Manche Gymnasialtypen gibt es nur als Oberstufe – etwa das Technische Gymnasium als Spezialtyp des Beruflichen Gymnasiums.

Gymnasien erhalten ihr Profil durch zusätzliche Stunden in ihrem Profilbereich, ohne dass das Ziel der Allgemeinbildung außer Acht gelassen wird. Es gibt keinen Gymnasiumstyp mit geo- oder gesellschaftswissenschaftlichem Profil. Es gibt „Schwerpunktschulen Geographie“ oder gymnasiale Oberstufen mit Geographie-Profil.

Aber es gibt keinen Gymnasiumstyp mit geo- oder gesellschaftswissenschaftlichem Profil von Anfang an. Es gibt nach meiner Kenntnis schon gar keine private Schule mit geowissenschaftlichem oder gesellschaftswissenschaftlichem Profil. Auch dazu könnte die Anregung von der DGfG an geeignete Schulträger ausgehen.

In der „Würzburger Erklärung“ haben schon im Jahre 1995 die Fachverbände der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer Geschichte, Politik und Geographie folgenden Konsens erzielt:

„Nur durch die Gesamtschau der drei Fächer [Geographie, Geschichte und Politik/Gemeinschaftskunde] kommt die Sicht auf die menschliche Wirklichkeit zustande (…). Eine angemessene Sicht der komplexen Wirklichkeit gewin­nen Schülerinnen und Schüler durch alle drei Fächer gemein­sam, denn Raum kann nicht ohne Zeit wahrgenommen wer­den, Polis nicht ohne Raum und Zeit; Zeit, Raum und Polis aber konstituieren  Lebenswirklich­keiten.  (…) Diese Fächer sind in be­sonderer Weise dazu bestimmt, die Persönlichkeit der Schüle­rinnen und Schüler (…) in einer demokratisch verfassten Gesellschaft zu entwickeln. Und damit ist politische Bildung zentrale Aufgabe des Staates, der sich dieser durch entspre­chende Ausstattung der Fächer zu stellen hat.“

Einerseits in Hinsicht auf die besondere Bedeutung der politischen Bildung im Sinne der „Würzburger Erklärung“, andererseits aber auch als Basis für die Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes in der Oberstufe des Gymnasiums sollten wir uns im Sinne einer verstärkten und breiteren geographischen Bildung auf allen Ebenen dafür einsetzen, ein „Gesellschaftswissenschaftliches Profil“ des Gymnasiums (G-Profil) neben die anderen, schon eingeführten zu stellen. Das G-Profil würde das unterrichtliche Gewicht auf geowissenschaftliche und gesellschaftliche Prozesse und Zustände sowie ihre räumlichen Auswirkungen im globalen, regionalen und lokalen Maßstab legen, ohne sprachliche, musische oder naturwissenschaftliche Bildung zu vernachlässigen. Im Gegenteil:

Es  böten sich einerseits je nach vorhandenen Fächerkombinationen der Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise bilinguale Unterrichtsphasen  an,
andererseits würde die Einbeziehung der Geographie Akzente naturwissenschaftlicher, vernetzender Bildung in den Mittelstufenklassen setzen, die heute so nicht vorhanden sind.
Die Integration der geographischen Feldarbeit in die unterrichtliche Arbeit und damit die Vereinigung von Theorie und Praxis würde ermöglicht.
Der innere Zusammenhang der drei Fächer erleichtert fachübergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten, und
die jeweiligen fachimmanenten Methoden begünstigen die Projektarbeit, die Anfertigung von Referaten oder einer Facharbeit.

Die Einführung eines G-Profils würde weiter beitragen zu mehr Freiheit und Verantwortung der Schulen bei der Entwicklung ihres pädagogischen Profils. Das bedeutete einen erheblichen Beitrag zur qualitativen Weiterentwicklung der Schulen.

Das wäre eine Möglichkeit, die geographische Bildung in Deutschland zu vertiefen und zugleich dem Schulfach Geographie eine starke Gewichtung wenigstens in einem gymnasialen Typ zu geben.

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