Beitrag in „100 Jahre VDSG“

 Aus:
Verband Deutscher Schulgeographen (VDSG) (Hrsg): 100 Jahre VDSG. Eine Festschrift. Herausgegegeben von Dr. Frank-M. Czapek zur Feier des 100. Gründungstages am 29. September 2012 in Gotha. Bretten 2012, S. 108-138.

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Eberhard Schallhorn

Umbrüche

Die Schulgeographie an der Jahrtausendwende zwischen bildungs-politischer Orientierungslosigkeit und neuer geographischer Selbstfindung

Die bildungspolitischen Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen nicht nur auf die Schulgeographie

„Und [um] etwas dafür zu tun, dass wir den Überblick über die große weite Welt nicht ganz verlieren: Etwas mehr Geographie bitte, auch an den Schulen! Und deshalb mein Dank an die Geographielehrer, die unverdrossen weiterhin Geographie unterrichten, obwohl das Fach beschnitten wird, in die dritte Reihe gedrängt wird. Wir haben weltweite Information nötig. Wir brauchen sie, um selbst auf die richtige Weise zu überleben.“

Diese Worte von Ernst W. Bauer,  dem Leiter und Moderator der seinerzeit beliebten ARD-Fernsehsendung „Wunder der Erde“, zur besten abendlichen Sendezeit am 14. März 1994 könnten als Motto über der Geschichte des Verbandes Deutscher Schulgeographen der Zeit seit dem Ende der 1990er Jahre stehen. Es waren bis heute bewegte  und bewegende über 20 Jahre vor und nach der Jahrtausendwende, die aus unserem Blickwinkel durch das fortwährende Bemühen geprägt waren, an den Schulen den Status quo des Faches Geographie[1] zu erhalten und auszubauen. Zugleich sickerten aus den Geographie-Lehrplänen originäre geographische Inhalte zunehmend in andere Fächer (Physik, Chemie, Biologie, Gemeinschaftskunde, Religion/Ethik), überfachliche  Bereiche (Jahresthema der Schule, Fächerverbindendes Thema einer Jahrgangsstufe, Seminarkurs) oder in neu geschaffene integrative Fächer,  während Geographie-Fachstunden vermindert wurden, anstatt die vom Verband Deutscher Schulgeographen schon seit seiner Gründung als notwendig erachteten zwei Unterrichtsstunden Geographie pro Klasse in jedem Schultyp endlich allgemein zu realisieren.

Dabei erschien es immer offensichtlicher, dass geographische Inhalte und geographisches Denken zu Zeiten der  „Globalisierung“ wichtiger wurden, um beispielsweise Disparitäten und schwindende Ressourcen auf der Erde erkennen und durch das persönliche Verhalten gegensteuern zu können.

Da dies allerdings eine ziemlich unbequeme Veränderung der gewohnten Lebensweise des Einzelnen bedeuten kann und es auch dem geographisch zunächst nur wenig Gebildeten insgesamt wenig einsichtig sein kann, weshalb oft das Billige nicht immer auch das im Sinne  von „Nachhaltigkeit“ Richtige ist, sind viele geographische Inhalte eigentlich wenig beliebt, wenn sie über Orientierung, die Schilderung von landschaftlichen Schönheiten oder die Erkenntnis von der geographischen Struktur eines Raumes hinausgehen und auf Verhaltensänderung abzielen. Darüber hinaus sind sie wegen ihrer Komplexität und systemischen Vernetzung kognitiv anspruchsvoll, deshalb schwierig, und bedürfen gerade im Geographieunterricht der geschickten didaktischen Reduzierung und Motivation. Oft werden sie  aber auch gar nicht als „geographische“ Inhalte – also raumbezogen – wahrgenommen.

Wie kann man sich als Schüler der Erkenntnis aus dem Geographieunterricht gegenüber verhalten, dass nach Schätzungen der FAO „die Ernteerträge für eine Weltbevölkerung von mehr als 10 Milliarden Menschen bis 2100 um mindestens 100 Prozent wachsen“ müssen? Wie der Tatsache gegenüber, dass die Weltgemeinschaft die heutigen 7 Milliarden Menschen nicht ausreichend ernähren kann, und doch einen immer größeren Teil ihrer Äcker für die Produktion von Biosprit und Fleisch einsetzt – eine Landwirtschaft duldet, „die den Boden aus den Augen verloren hat“? [2]

In den vergangenen Jahrzehnten, mindestens seit dem Deutschen Geographentag in Kiel 1969, hat sich das Objekt der Geographie, der Raum, wie immer er heute auch verstanden wird und wenn er wenigstens nicht „abgeschafft“ ist, in seiner ihm angestammten Wissenschaft atomisiert. Zu jedem Teilbereich fand sich in Anlehnung an die internationale Wissenschaft eine Spezialistengruppe mit ihrem Lehrstuhl, so dass heute immer weniger Geographen zu finden sind, stattdessen Landschaftsökologen, Geomorphologen, Klimatologen, Glaziologen, Stadtentwickler, Verkehrsplaner, Wirtschaftsentwickler,  Bevölkerungsgeographen und viele andere, wie es in den Namen der zahlreichen, berechtigten und verdienten Arbeitskreise der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG)[3] deutlich wird. Nur – wenn immer weniger ihren Beruf (und ihre Berufung) als „Geograph“ bezeichnen, wird auch im öffentlichen Bewusstsein dieses Fachgebiet immer weniger wahrgenommen. [4]

Zugleich wird von anderen, insbesondere der Geographie affinen Nachbarbereichen anerkannt, dass ihre je eigenen Inhalte ohne Raumbezug oder Einbeziehung von geowissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr angemessen zu behandeln sind. Die Geschichte erkennt nicht nur, dass „Die Kontinentalverschiebung, ein anderer Ausdruck für Plattentektonik, (…) kontinuierlich Gestalt und Lage der Landmassen“[5] veränderte, sondern dass insgesamt der „ganzen Menschheitsgeschichte drei primäre ökologische Regulationssystem-Transformationen zugrunde liegen“[6] und sie strukturieren oder dass Meeresspiegelschwankungen und damit zusammenhängende Küsten-, Ufer- oder Flusslaufveränderungen „unsere Sicht der Frühgeschichte des Menschen in nicht unbeträchtlichem Maße beeinflussen“ [7] dürften.

Der indische Historiker Dipesh Chakrabarty meint, ausgehend von der Erkenntnis, dass natürliche Ereignisse – beispielsweise der Klimawandel – historische Fakten – etwa Klimaflüchtlinge – zur Folge haben: „Historiker sollten sich der großräumigen, naturhaften Entwicklungen bewusst werden. Der Franzose Fernand Braudel ist darin ein Vorbild. Er verstand Prozesse der Natur als Hintergrund der Historie.“ [8]

In einem Zeitungsbericht über den 44. Historikertag in Halle 2002 heißt es: „So war der Mehrzahl der Sektionen das Bemühen anzumerken, sich an aktuelle Diskurse anzukoppeln: Migration, Globalisierung, Zivilgesellschaft, Europa, Sozialstaat – kaum ein „anschlussfähiges“ Stichwort fehlte, vor allem in der diesmal das Programm dominierenden Zeitgeschichte.“ [9] Man meint, einen Bericht über den Deutschen Geographentag vor sich zu haben. Der Philosoph Professor Dr. Ludwig Siep von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster antwortet auf die Frage: „Welche geisteswissenschaftlichen Disziplinen sind besonders geeignet, Impulse für „Zukunft Erde“ zu geben?“ im Januar 2012 in der „Unizeitung“ seiner Universität: „Einige der Rechts- und Sozialwissenschaften wie Migrations- oder Konfliktforschung und die angewandte Ethik sind sehr geübt in der Einschätzung von Zukunftsfragen. Wenn man einsieht, dass die Zukunft nicht ohne Erforschung der Vergangenheit zu bewältigen ist, sind eigentlich alle Disziplinen gefragt.“ Über das Fach Geographie verliert der Philosoph kein Wort.[10]

Auch die „harten“ Geowissenschaften wie Geologie, Petrographie, Mineralogie oder Ozeanographie sehen immer stärker die sozio-ökonomischen systemischen Verbindungen ihrer Fächer. Wenigstens sie kommen inzwischen zu einer Aufwertung der von ihnen in der Vergangenheit lange nicht sehr geschätzten Geographie – auch angesichts des Vergleichs der Anzahl ihrer Studienanfänger mit denen in der Geographie.

Diese eher fachbezogene Entwicklung wurde überlagert von bildungspolitischer Orientierungslosigkeit[11], der sich gleichwohl  die Politik stellte, um sie schwungvoll, aber dabei verstärkend  doch nicht zu beheben –  in jedem Bundesland auf andere Art und Weise.  Denn die Bildungspolitik geriet endgültig  zu dem noch verbleibenden originären politischen Betätigungsfeld der Landespolitik, in das sich kein Land weder durch Bundestag noch Bundesrat hineinreden ließ. Die Eckpunkte, die die „Ständige Konferenz der Kultusmister der Länder“ – kurz: KMK – setzte, hinderten die Länder nicht an der Verwirklichung eigener Bildungs-Vorstellungen, die jeweils für die beste gehalten und propagiert wurden.

Die Auflistung der zur Zeit immer stärker in den Fokus der Bildungspolitiker rückenden Schularten mit zwei oder drei Bildungsgängen in den verschieden Bundesländern spiegelt die aktuelle selbstbewusste Eigenständigkeit der länderspezifischen Bildungspolitiken. Da gibt es die Integrierte Gesamtschule, kooperative Gesamtschule, Gemeinschaftsschule, Integrierte Gemeinschaftsschule, Mittelschule, Oberschule, Stadtteilschule, Regionale Schule, erweiterte Realschule, Regionalschule und die Regelschule [12]. Ihre Bildungsgänge umfassen jeweils den Hauptschulzweig, den Realschulzweig, den Gymnasialzweig und bei fast allen auch die Gymnasiale Oberstufe. Außerdem existieren weiterhin noch Grundschulen, Hauptschulen, Werkrealschulen, Realschulen, allgemeinbildende Gymnasien und die Gymnasien als  technische, musische, sportliche, sozialpädagogische oder sozialwissenschaftliche Spezialformen, manchmal  noch parallel als G8 oder G9, und gemäß der Rhythmisierung und Teilnahmepflicht der Schüler geschlossene, offene oder teilgebundene Ganztagesschule neben der Halbtagesschule, die aber weitgehend doch keine mehr ist, weil Unterrichtsstunden auf den Nachmittag verlagert werden müssen, z.B. Sport wegen der Vielzahl der Schülergruppen oder der Konkurrenz zu anderen Nutzern der Sportanlagen.

In diesem Zusammenhang mag es nachdenklich stimmen, wenn über das von Politikern aller Bundesländer so hochgelobte föderale Bildungssystem von einer jungen Frau, die gerade ihr Abitur hinter sich gebracht und über ihre Schulzeit eine kritische Rückblende verfasst hat, geurteilt wird: „Außerdem sollte man endlich den Bildungsföderalismus abschaffen, denn das ist in Zeiten der Globalisierung, in denen von Arbeitnehmern uneingeschränkte Mobilität verlangt wird, schlichtweg überholt.“[13]Allerdings plädieren in jüngster Zeit auch führende Landespolitiker  immer weniger verhalten  für mehr Einheitlichkeit im zersplitterten deutschen Bildungswesen.[14]

Mit und ohne pädagogische oder didaktische Reflexion, aber mit breiter öffentlicher Begleitung durch die Medien, kaum aber mit selbstbewusster, eigenständiger schulpraktischer Unterstützung gingen die Bildungspolitiker aller Länder mit Unterstützung neu gegründeter Bundes-Institutionen für Pädagogik und Didaktik daran, Ergebnisse von internationalen  Schülerleistungsvergleichen (TIMSS, PISA u.a.) als Argumente für Maßnahmen dafür zu benutzen, für die deutsche Bildungspolitik angeblich diskriminierende Fakten aus der Welt zu schaffen: Die international vergleichsweise geringe Abiturienten- und Hochschulabsolventenquote und das relativ hohe Alter der Hochschulabsolventen.  Geographie kam in der PISA-Studie nicht ausdrücklich vor – aber in den Aufgaben, deren Lösung Lese- und mathematisches Verständnis überprüfen sollten, waren oft  geographische Inhalte angesprochen. „Wesentliche Zielbereiche schulischer Bildung sind nicht Gegenstand von PISA. Dies betrifft Bildungsgegenstände, u.a. Geschichte und Gemeinschaftskunde oder die Fremdsprachen, aber auch spezifische Aspekte der schulischen Bildung näm-/lich die sprachliche (,…), die ästhetische, soziale und politische Dimension.“[15]

Die für Deutschland eher mäßigen Ergebnisse der Rankings[16] der eigentlich in Sachen Wirtschaft, aber vielleicht nicht gerade in Bildungsangelegenheiten originär als bedeutend und kompetent  geltenden Wirtschaftsorganisation OECD führten dazu, dass ohne weitere Umstände Schule und Bildung insgesamt auf den Prüfstand gestellt wurden, was Inhalte, Methoden, Stundentafeln, Unterrichtserteilung, Lehrerkompetenz etc. betraf. Dass in diesem Zusammenhang auch immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass die Bildungsausgaben in Deutschland im internationalen Vergleich – gemessen am Bruttosozialprodukt – niedrig sind, wurde von der Politik dagegen weniger beachtet. Stattdessen beließ man es mit Vergleichen im nationalen Maßstab, die stets erwiesen, dass die Ausgaben für Bildung überproportional hoch seien. Der Landesrechnungshof Baden-Württemberg hat daher im Sommer 2012 gefordert, auf 12.000 Lehrerstellen zukünftig zu verzichten, nachdem im Wahlkampf 2010/11 mehr Lehrer, kleinere Klassen und bessere Schulausstattung versprochen worden waren.

Der beispielsweise vom Kultusministerium Baden-Württemberg  in 22 Gymnasien des Landes nach der landesweiten Einführung des achtjährigen Gymnasiums auf Drängen der Eltern zu Beginn des Schuljahres 2012/13 zugelassene „Schulversuch“, die Gymnasialzeit durch Streckung der Bildungsstandards wieder auf neun Jahre anzuheben, zeigt anders herum die erheblichen finanziellen Mittel, die bei der Einführung des achtjährigen Gymnasiums frei wurden:  Für die nur 22 Schulen mit dem neunjährigen Schulversuch wurden 133 zusätzliche Deputate bereitgestellt [17]. Das bedeutet aber, dass durch die Umstellung der rund 400 Gymnasien Baden-Württembergs von G9 auf G8 mindestens etwa 2500 Deputate eingespart wurden. Das entspricht einem Finanzvolumen von 90 Mio. Euro jährlich, wenn die durchschnittliche Besoldung des Gymnasiallehrers mit 3000 Euro im Monat angenommen wird. Die durchaus laut und allgegenwärtig geäußerten, im Vordergrund stehenden pädagogischen Gründe für eine Umstellung auf G8 sind dagegen nur Argumente, denen andere gegenüber stehen, die mit gleicher Berechtigung das Gegenteil erweisen. Zahlen aber sind nicht widerlegbar.

Im Jahre 2008 wurde ein „Bildungsgipfel“ aller an Bildung in Deutschland Beteiligter einberufen, der sich – also mit Zustimmung der Bildungspolitik in Bund und Ländern – für eine Erhöhung der Ausgaben für öffentlich und privat getragene Bildung in Deutschland auf 10% des Bruttoinlandsproduktes aussprach. Eine „Expertise“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes unter Federführung des Duisburg-Essener Bildungsforschers Klaus Klemm im Oktober 2011 und die Angaben im Bildungsbericht 2012 stellen fest, dass die Bildungsfinanzierung von 8.8 % des BIP im Jahre 1995 bei einer minimalen Steigerung um 0,7 Prozentpunkte bei 9,5 % des BIP im Jahre 2012 stecken geblieben ist. Die Ausgaben für die allgemeinbildenden Bildungsgänge sind dabei allerdings von 2,5 % des BIP im Jahre 1995 auf 2,4 % im Jahre 2009 gesunken[18]. Und das bei größtem Finanzierungsbedarf gerade in diesem und in eigentlich allen bildungspolitischen Bereichen. Allein die Veränderung der Anzahl der Schüler an Gymnasien und der Studierenden an den Hochschulen von 1998/99 bis 2010/11 macht die Notwendigkeit für eine Steigerung der Bildungsausgaben evident: In dieser Zeit ergab sich bei den Gymnasien ein Plus von rund 250.000 Schülern, an den Hochschulen ein Plus von 416.000 Studierenden [19].

Den Politikern dienen oft Negativbeispiele aus der selbst erfahrenen oder Schilderungen aus der täglichen Schularbeit über unwillige Schüler oder individuelles Lehrer-Fehlverhalten in Sachen Fachwissen, Methodik, Pädagogik oder Persönlichkeit bis zu den jüngsten Skandalen in bis dahin renommierten Schulen als legitime Ausgangsbasen für die Forderung nach Reformen auf allen Bildungsebenen.  Diese Negativbeispiele stehen dann im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung, was – leider und ohne die Verfehlungen oder Fehlleistungen  kleinreden zu wollen  – ihrem medialen Nachrichtenwert  zuzurechnen ist. Alle diejenigen, die inzwischen außerhalb von Schule stehen, eint die Tatsache, dass zu den Themen Schule und Bildung jeder mitzureden vermag, weil jeder einschlägige Erfahrungen hat. Das gilt auch für die Spitze der Bildungspolitik in Bund und Ländern. [20]

Wenig beachtet wurde die profane, vielleicht auch eher polemische Feststellung, dass selbst die ärgsten Neuerer in ihren gut dotierten Positionen offensichtlich doch selbst „Produkte“ der von ihnen nun so prinzipiell kritisierten Schule sind, wobei zusätzlich von Böswilligen kolportiert wurde, dass viele von ihnen in den heute für den Bildungserfolg als überragend bedeutsam angesehenen Fächern wie beispielsweise Mathematik nur wenig erfolgreich waren.[21]

Die weitaus größte Anzahl der Lehrerinnen und Lehrer an den deutschen Schulen aber hat trotz schwieriger äußerer Umstände (große Klassen, fordernde Eltern, viele Schüler/innen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, geringe Schätzung der Vermittlung von Werten, zunehmende Fehleinschätzung der eigenen Leistung bei anspruchsvoller Noteneinforderung, schwieriger werdende familiäre Umstände etc.) verantwortungsbewusste Bildungsarbeit geleistet[22], die immerhin dazu geführt hat, dass Deutschland nicht ganz in Übereinstimmung mit den Ranglisten von PISA in der Wahrnehmung aus dem Ausland  kulturell, wirtschaftlich und sozial beispielgebend ist. An deutschen Universitäten sind zum SS 2012 erstmals mehr als eine Viertel Million Studierende aus dem Ausland eingeschrieben, und in Berlin „beginnen an den drei Universitäten mittlerweile sogar mehr Ausländer ein Studium als Berliner“.[23] Das spricht nicht dafür, dass die Bildungsmöglichkeiten in Deutschland aus internationaler Sicht als gering angesehen werden.

Das nach PISA 2000 für die Lehrerschaft in den Ländern in Gang gesetzte, oft verpflichtende Fortbildungsangebot wurde gut angenommen, dann aber nicht mit gleichem Elan in die Schulen hineingetragen, weil es nicht sehr schwierig war zu erkennen, dass Vieles von dem Neuen eigentlich das Alte in moderner Semantik war[24].  Die Schulleiterin eines Gymnasiums in meinem Wohnort äußerte jüngst in einer Elternbeirats-Versammlung: „Jetzt bin ich schon 30 Jahre im Schuldienst, und es hat sich eigentlich nichts geändert.“ Die Entlarvung des vermeintlich Neuen und Hilfreichen als das eigentlich Bisherige lähmte zusammen mit der aus hektischer Eile nicht vermittelten Einsicht in eine erforderliche Änderung  und der Verpflichtung zur schnellen Umstellung den Innovationswillen des Lehrers im Klassenraum. Es wurde die Frage gestellt, ob die neu propagierten Wege für Schule und Unterricht tatsächlich bessere Schülerleistungen und höhere Bildung zustande bringen. Denn die Einführung des Neuen beruhte nicht auf dem belastbaren, positiven Ergebnis von  empirischen  Untersuchungen[25]. Die Antwort auf die Frage oder zumindest der Konsens darüber, wie Unterrichtsqualität oder Qualität der Schülerbildung messbar, ja, was überhaupt unter „Bildung“ zu verstehen ist, steht bei allen Anstrengungen der Bildungsforschungsinstitute und vielfältiger Schülerleistungsuntersuchungen aus. Das schnelle Funktionieren in der Wirtschaft nach dem Schulabschluss aufgrund erworbener Kompetenzen kann doch wohl nicht das einzige Kriterium sein. Wenn in PISA 2000 die Lesekompetenz deutscher Schüler als zu gering eingestuft wurde, so bleibt es eine ernüchternde Einsicht, wenn der „Bildungsbericht 2012“ zwar bescheinigt, dass die Lesekompetenzen in der Schule verbessert sind, der Anteil gerade der schwachen Schüler, den es doch insbesondere zu vermindern gilt, aber weiterhin hoch ist [26] .

Insgesamt kann sich die Bildungspolitik glücklich schätzen, dass die kaum überschaubaren Ratschläge und Richtlinien, wie guter Unterricht zu halten ist und was seine Inhalte sein sollen, weitgehend an der Lehrerschaft abgefedert sind, die ihren erfolgreichen, jeweils zu ihrer Person passenden Stil in ständiger selbstkritischer Überprüfung und Verbesserung treu geblieben ist. Denn „Lehrer orientieren sich zum einen nur selten an Lehrplänen (und mehr an ihren eigenen Materialien und an den Schulbüchern), und zum anderen schätzen sie detaillierte didaktisch-methodische Vorgaben nicht, wohl weil sie sie auch nicht angemessen umzusetzen gelernt haben, Autodidakten, die Lehrer nun einmal sind.“[27]

Dass es dabei auch immer wieder zu negativen Ausreißern kommt, die Schlagzeilen liefern, ist nicht nur lehrerspezifisch, sondern in allen Berufsgruppen Tatsache. Aber es wäre sicherlich zu einem tatsächlichen Bildungs-Tohuwabohu gekommen, wenn alle Lehrer/innen sich mit Inbrunst und strikt den jeweils von der Didaktik, nationalen sowie internationalen Bildungsinstituten oder von der Bildungspolitik für erforderlich gehaltenen Prinzipien unterworfen hätten – der bunte Didaktiken-Strauß umfasst Lernzielorientierung, Handlungsorientierung, Konstruktivismus, Strukturalismus, Evolutionierung, Schülerorientierung, Kompetenzorientierung, Instandardsetzung, Projektorientierung, Problemorientierung, Modellbildung, Präsentationsorientierung, offener Unterricht, Methodenorientierung, Evaluation, Blended Learning, Integration  u.a. – wenn möglich,  jeweils verbunden mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit.

In der Bildungspolitik – und nicht nur hier – scheint der Lehrer nur noch das ausführende Organ der vermeintlich guten Ideen zu sein, die andere haben. Dabei kommt der Eindruck auf, dass die Bewertung der Erlasse, Vorschriften und Bestimmungen „von oben“ immer schlechter wird, je weiter unten sie in der Hierarchie der Bildungseinrichtungen ankommen. Dem Lehrer scheint nicht nur jede didaktische Neuerung als Innovation, sondern auch jede schulische Wirklichkeit zugemutet werden zu können – und erstaunlicherweise schultert er sie im Regelfall. Volker Huwendiek, langjähriger Leiter des Bundesarbeitskreises der Seminar- und Fachleiter/innen e.V., weist in einem kurzen, leicht zu überhörenden Satz darauf hin: „Empirische Untersuchungen belegen ohnehin immer stärker die These: Auf den Lehrer kommt es an, „teachers make the difference“ [28] oder noch knapper: „The teacher matters!“[29]

Mit den reformpädagogischen Gedanken wurden Anregungen und Konzepte aus den 1920er Jahren nunmehr 80 Jahre später um die Jahrtausendwende als zeitgemäß und modern aufgegriffen – eigentlich ein Griff in die pädagogische und didaktische Mottenkiste. Manche erkannten des „Kaisers neue Kleider“, ohne sich allerdings in ihrer berechtigten Kritik im Brausen der allgemeinen Zustimmung Gehör verschaffen zu können: „Bedeutsam ist nach wie vor der Gedanke, dass Bildung gerade die Distanz zu den unmittelbaren Interessen und Bedürfnissen braucht. (..) / Die erforderliche Distanz ist aber auch zu gewinnen durch wissenschaftliche bzw. wissenschaftsorientierte Betrachtung der Welt. (…) Die gegenwärtigen reformpädagogischen Versuche, diese Disparatheit in der Schule als einheitlichem „Lebensraum“ zu „integrieren“ sind daran gemessen geradezu hinterwäldlerisch unmodern.“[30] Und es habe sich als Irrtum herausgestellt, „dass die neuen „offenen“ Unterrichtsverfahren, welche die Schüler/innen weitgehend mitbestimmen können, die Lernerfolge der leistungsschwächeren Schüler/innen steigerten; die bisherigen Untersuchungen dazu zeigen eher das Gegenteil. Also wäre gerade ihnen nicht mit einer schulpädagogischen Sozialromantik geholfen, die das Leben spätestens beim Berufseintritt bestraft.“[31]

Die dem Zeitgeist entsprechende Anpassung der Anforderungen von Unterricht und Schule an die Bedürfnisse der Schüler (Schüler abholen, wo sie stehen… Schülerorientierung… schülerzentrierter Unterricht… Lehren, was Spaß macht… u.a.) führt möglicherweise auch auf Abwege: „Bildung nämlich ist gemäß dem Ertrag der für sie in einer Jahrhunderte langen Geschichte erstrittenen Ansprüche niemals auf Lernen als Anpassungsleistung zu reduzieren, sondern zeigt ihren charakteristischen Eigenwert auch und vor allem als Widerstand.“[32]

Methodische Kniffe oder Verhaltensweisen aus dem Bereich des Coaching, der Kommunikationswissenschaft  oder der Wirtschaft, auch aus dem Sport (insbesondere Fußball [33]) oder auch ganz persönliche Vorlieben, die ihre Publikationsorgane  fanden, wurden durch bildungspolitische Maßnahmen den Schulen als nunmehr zeitgemäß eher aufgedrückt, denn nur empfohlen.  Schule selbst aber wurde nicht behutsam auf Schwächen, aber auch nicht auf Stärken hin überdacht, sondern aktionistisch pauschal  mit einer Vielzahl von Reformen überschüttet, weil überall von der Schulleitung bis zum Hausmeister Schwachstellen ausgemacht wurden, wobei das neue Neue oft schon eingeführt wurde, bevor noch das schon wieder alte Neue zu Ende gebracht war[34]. Und wenn – was vorherzusehen war – die Schule mit ihrer Lehrerschaft die für erforderlich erachteten Neuerungen nicht bis zur nächsten Fremdevaluation erfolgreich umsetzen konnte, wurde schnell auch auf die Eltern, das Fernsehen, den hohen Anteil unbeaufsichtigter Freizeit, das Internet, Facebook, auf die Gesellschaft insgesamt als Schuldige gewiesen, Schule könne schließlich nicht alle Aufgaben der Sozialisation von Jugendlichen („Erziehung“) übernehmen und dazu noch alle gut für eine Berufsausübung qualifizieren. Die Richtung der Vorwürfe funktionierte aber mit Anpassung der Argumente genauso gut auch anders herum – also von der Gesellschaft auf die Schule[35], die nicht angemessen auf die Schüler eingehe, ungerecht und subjektiv sei, nach vollgerümpelten Lehrplänen unterrichte, eher pauke denn einsehen lasse und so fort.  Beide Argumentationen waren (und sind)  – weil einseitig und pauschal – eher pauschal diffamierend denn konstruktiv.

Die statistischen Zahlenwerte für Deutschland in den PISA-Untersuchungen der OECD wurden rundweg als zu schlecht befunden, ohne dass sich die Verantwortlichen die Mühe machten, die jeweils unterschiedlichen Bildungssituationen in den Vergleichsländern genauer zu berücksichtigen. Das bewährte duale Bildungssystem in Deutschland fand in PISA beispielsweise keine Berücksichtigung.  In den USA ist ein Studium Standard, weil es „eine solide Berufsausbildung wie in Deutschland“ [36] nicht gibt. Die traditionellen, gewachsenen Bildungsstrukturen in so unterschiedlichen Kulturen und demographischen Strukturen wie  beispielsweise Kanada,  Finnland oder Südkorea mit Deutschland allein aufgrund von Zahlen  zu vergleichen, konnte aber nur zu Missdeutungen führen[37].  Die sich jagenden Schnellschuss-Analysen, die sich überschlagende, gleichwohl weit reichende Reaktionen auslösten, übersahen dabei auch Wesentliches, z. B. „Am Beispiel Finnland: Viele Beobachter ließen sich vom Gesamtschulsystem hypnotisieren und übersahen – neben der hohen Förderqualität – den vorherrschenden Frontalunterricht.“ [38] Dabei war schon zu Beginn  der Debatte um die PISA-Ergebnisse gerade „Frontalunterricht“ zum gleichermaßen pädagogischen wie didaktischen Unwort und geradezu zum Sinnbild für den bisherigen, apodiktisch als verfehlt und schlecht beurteilten Unterricht geworden.

Bildung zu quantifizieren und damit mathematisch exakt beschreiben zu können, war zugleich Schwierigkeit wie aktuelle Forderung. Es  wurde dadurch bewältigt, dass eine Methode entwickelt wurde, die es den Probanden erlaubte, so zu antworten, dass die Auswerter zu objektiv quantifizierbaren Ergebnissen kamen: Mit Ankreuzen, Unter- bzw. Durchstreichen oder Lückenfüllen. Farbige Leucht-Marker wurden zum Markenzeichen modernen Unterrichts – Umweltverträglichkeit hin oder her. Die Suche nach der Quantifizierung des Unterrichtserfolgs war aber so problematisch wie es zweifelhaft wäre zuzulassen, eine literarische Arbeit etwa über Kafka genauso exakt mit richtig oder falsch zu bewerten wie die Lösung einer mathematischen Aufgabe. Evaluationsarbeiten sollen über den Lernerfolg objektive Auskunft geben. Obwohl keine Konsequenzen für Schule oder Lehrerschaft bei schlechten Ergebnissen der Evaluation erkennbar sind, führte die Aussicht auf durchzuführende Evaluations- oder Vergleichsarbeiten in vielen Fällen bei den Lehrenden zu „teaching to the test“ und bei den Lernenden zu „Lern-Bulimie“.

Die vermeintliche Unvermeidlichkeit, Lernen und Unterricht zu messen und damit vergleichbar machen zu müssen, kann zu Erhebungen führen, die weiter an den von Produzenten erwünschten „Gläsernen Menschen“ hinführen. Im weitgehend wohl überlesenen Vorwort der „Bildungspolitischen Analyse“ der OECD aus dem Jahre 2001 schreibt deren Generalsekretär, was wünschenswert wäre, um den Menschen das Funktionieren im wirtschaftlichen Prozess beibringen zu können, nämlich die umfassende, komplette Datensammlung über das private und berufliche Verhalten des Menschen: „Die (…) Merkmale eines gut funktionierenden Systems lebenslangen und lebensumfassenden Lernens sind weder leicht zu messen, noch lassen sie sich ohne weiteres international vergleichen. Wir wissen sehr wenig über die informellen Lernprozesse, die sich zu Hause, im sozialen Umfeld oder am Arbeitsplatz vollziehen.“[39] Bildung zielt auf das selbständige und verantwortliche Verhalten des Menschen gegenüber der Realität, die von der OECD geforderten und seit PISA 2000 in der deutschen Bildungslandschaft etablierten „Kompetenzen“ auf die problemlose Eingliederung des Menschen in den Wirtschaftsprozess und sein störungsfreies Funktionieren. Als Belohnung winken hier Eigenständigkeit, Reflexionsvermögen und Verantwortlichkeit, dort die Möglichkeit zum Konsum.

Mit den Ergebnissen der OECD-Studien wurde nach der durch Georg Picht im Jahre 1964 ausgerufenen „Bildungskatastrophe“ und nach der schon 1971 von der OECD vorgelegten, aber in der deutschen Bildungspolitik weitgehend folgenlos gebliebenen  Untersuchung „Bildungswesen: mangelhaft“[40] neu dazu angeregt, über Bildung, Schule und Hochschule  zu reflektieren, was natürlich grundsätzlich zu begrüßen ist. Davon profitierten viele, die sich dem Mainstream anschlossen und sich aufgrund der Verunsicherung von Öffentlichkeit und Politik daran machten, mit wissenschaftlicher Professionalität, aber oft auch nur mit vermeintlich neuen oder eher vordergründigen, empirisch nicht auf ihre erfolgreiche  Brauchbarkeit hin geprüften Vorschlägen auch mit Hilfe von Schulbuchverlagen die  didaktische Theorie und Praxis neu zu begründen.  In einem Aufsatz in der Zeitschrift „DIE ZEIT“ lese ich: „Das Gute am Mainstream ist, dass man nicht groß nachdenken muss. Man wirft sich einfach hinein in den Strom und lässt sich gemütlich treiben.“ [41]

Die eher warnenden Gegenstimmen[42] wurden nicht gehört, die Karawane zog weiter – denn der einmal begonnenen Bildungseuphorie konnte sich nur entziehen, wer mit dem Prädikat des Rückständigen und Ewiggestrigen belegt werden wollte. Das aber entspricht den Erkenntnissen der Massenpsychologie, die uns vermittelt, dass man dazu tendiert, „vom Mainstream abweichende Meinungen als unmoralisch zu verurteilen“. [43]  „Mittlerweile bezahlen wir Heerscharen von Akademikern dafür, dass sie ständig pädagogische Neuigkeiten präsentieren. Es geht aber nicht darum, Schule permanent neu zu denken – es geht darum, genügend Praktiker zu haben, die selbstbewusst und feinfühlig einen guten Mix an Lernaktivitäten ausbalancieren, Tag für Tag. Das Rad muss auch in der Pädagogik nicht neu erfunden werden (…).“ [44]

Angestoßen, angeführt und gelenkt wurde die neue Diskussion über Schule und Bildung in Deutschland etwa seit Mitte der 1990er Jahre von der empirischen Bildungsforschung, die die angesprochenen internationalen Schulleistungsstudien wie TIMSS und PISA im nationalen Bereich aufbereitet hat. Wenngleich sie Fragen der Schul- und Unterrichtspraktiker aufgegriffen hat, so waren ihre Antworten doch eher theoretisch oder für die Praktiker wenig bedeutsam.[45] Denn aufwendige empirische Untersuchungen, die mit ausgezeichneter wissenschaftlicher Akribie Antworten auf Fragen der Praktiker erbrachten, die jene aus der täglichen Arbeit heraus sich aber bei einiger Reflexion auch selbst geben konnten, riefen auf Seiten ebendieser Praktiker nur Kopfschütteln hervor: „Was soll das?“ Allerdings beweise die Wissenschaft einem ja oft das, „was man sowieso schon zu wissen glaubte“. [46]

Eine umfangreiche methodisch vorbildliche, empirische Untersuchung über Schüler mit Migrantenhintergrund ist beispielsweise für Lehrende wenig ergiebig, wenn sie das Ergebnis erbringt, dass es Migrantenkinder aufgrund von Sprachschwierigkeiten und oftmals dem Lernstoff wenig fördernden sozialen Hintergrund schwieriger als die Kinder aus Nicht-Migranten-Familien haben. Oder in unserem Fach kann eine gleichermaßen aufwendige empirische Studie über klimageographischen Unterricht in Klasse 11, auch wenn sie methodisch innovativ ist, nur ungläubiges Kopfschütteln über so viel Aufwand hervorrufen, Bekanntes empirisch zu beweisen, wenn das zugegeben richtige, aber letztlich vom Praktiker in jeder Unterrichtsstunde erfahrbare Ergebnis lautet, dass die Schüler vieles von dem, was in früheren Klassen unterrichtet wurde, wieder vergessen haben. Eine überzeugende Antwort aber, wie geographische Inhalte nachhaltig unterrichtet werden können, wenn sie doch schon in der Klasse 5 so komplexe Inhalte wie zum Beispiel Wirtschaftsräume zum Thema haben, und wie denn harmonisch ein Lehrgebäude Geographie angesichts der Vielfalt der notwendigen Inhalte und Erfordernisse aufgebaut sein könnte, steht weiterhin aus – wenn man von dem Vorschlag des „Grundlehrplans Geographie“ des VDSG absieht (siehe weiter unten).

Das Ergebnis waren die eigenständigen, bereits erwähnten Bildungspolitiken in jedem der Länder, nicht nur, was die Stundentafeln, sondern auch was die Schultypen, die Inhalte und Lehrpläne, die Unterrichtsversorgung  oder die Klassenstärken betraf. Allein grundsätzliche  Regelungen der Sekundarstufe II  und der Gesamtstundenanzahl bis zum Abitur, das immer noch nach 265 Wochenstunden[47] im Gymnasium die überwiegende Berechtigung zum Hochschulstudium darstellt, wurden in der KMK verabredet. Und Einigkeit bestand bei den Bildungspolitikern nach PISA2000 auch darin, dass Schule sich grundsätzlich ändern müsse, beispielsweise  zum „Haus des Lernens“, zum methodischen Lernen, zur Kompetenzorientierung, vom Input zum Output (= „Outcome“), dass überhaupt die Lehr- oder Bildungspläne zu „entrümpeln“ seien und obendrein die Schul- und Hochschulzeit verkürzt werden müsse, die im internationalen Vergleich in Deutschland weitaus zu lang sei – als ob ein Jahr mehr oder weniger im Lebenslauf eines Menschen grundsätzlich entscheidend wäre – außer, wenn es um seine wirtschaftliche Funktionalität geht.

Lernen dauere lebenslang, deswegen müsse in der Schule vor allem Lernen gelernt werden. Unterrichten allerdings sei überholt und nicht im Sinne moderner Didaktik, selbstbestimmte, eigene Erarbeitung des Stoffes im Team sei das Gebot der Zeit, und das dann – wenn gymnasial – in einer generell auf insgesamt zwölf Jahre verkürzten Schulzeit. Lernen von Sachkenntnissen, Zusammenhängen oder gar Weltsichten sei aber eigentlich überhaupt ganz überflüssig, denn Wissen habe ohnehin eine kurze Halbwertzeit und man könne alles in Lexika – ganz zeitgemäß in elektronischen, z. B. Wikipedia –  nach Belieben nachschlagen. Wenn schon Lernen, dann ohne Zwang auf freiwilliger Basis und nur bei genügender, intrinsischer Motivation des Schülers.

Einwände ließ man nicht gelten, und sie wurden auch eher spät formuliert: „Es muss aber die Frage erlaubt sein, ob die von den Reformern damals bis heute proklamierte Idealform eines zwangfreien Lernens nicht Vorstellungen eines anstrengungsfreien Lernens befördert hat und damit den Hang zum Ausweichen vor Anforderungen, der in seiner extremen Ausformung schließlich in einer rein rezeptiven Konsumenthaltung endet.“[48] Jeder Lehrer würde es sicherlich begrüßen, wenn insbesondere seine Mittelstufenschüler, aber auch alle anderen jeden Morgen freudig und mit großer Lernbereitschaft in die Schule kämen, am Unterricht teilnähmen und den Lernstoff aufsögen.

Gleichwohl berichten die Zürcher Lehr- und Lernforscherin Elsbeth Stern und die Grazer Psychologin Aljoscha Neubauer von den Ergebnissen ihrer lernpsychologischen Forschungen, dass „zahlreiche Untersuchungen an ganz unterschiedlichen Personengruppen“ gezeigt haben, „dass ein Weniger an Intelligenz durch ein Mehr an Wissen ausgeglichen werden kann“, Wissen also vielleicht doch nicht so überflüssig ist, weil ohnehin schnell überholt.[49] Und sie stellen einen Zusammenhang zwischen persönlicher Bereitschaft und Erfolg her: „Nur wer diszipliniert und effizient lernt, erwirbt eine fundierte Wissensbasis, die letztendlich den Erfolg auf einem Gebiet bestimmt.“[50]

Dass bei der neuen Vorstellung von Schule von einem Zerrbild von Schule und Unterricht ausgegangen wurde, das so höchstens Ende des 19., nicht mehr aber am Ende des von der Historie durchgeschüttelten 20. Jahrhunderts der Gesamtheit der realen Schulwirklichkeit entsprach, ahnten viele, wagten aber nur wenige zu sagen. Das skurrile Bild von dem Lehrer, der regungslos vor der Klasse steht und seine Schülerinnen und Schüler von dort aus („frontal“) pausenlos mit Worten überschüttet, ohne zu bedenken, was davon auch bei denen ankommt, die dem Wortgeklingel nicht folgen können und sich deswegen mit anderen Dingen beschäftigen, wurde von jenen, die Unterricht fern standen, immer wieder bemüht. Die sich anschließende Forderung, dass sich das ändern müsse, konnte nur auf breite Zustimmung stoßen. Wenige hatten den Mut oder auch die Einsicht, die Dinge auf die reale Basis zurückzuführen. Der Frankfurter Pädagoge Andreas Gruschka stellte in seinem Reclam-Büchlein „Plädoyer für guten Unterricht“ unter dem Titel „Verstehen lehren“ die Fragwürdigkeit der aktionistischen Reformbestrebungen eigentlich für alle les- und erwerbbar dar[51].  Herbert Gudjons versuchte, das dem Bildungslaien am schnellsten einleuchtende Thema „Frontalunterricht“ wieder sachgerecht darzustellen [52], konnte aber seinerseits nur wenig in dieser eifernden Diskussion bewirken.

Besonders Hellhörige argwöhnten von Anfang an, dass es – wie erwähnt – bei den geforderten Reformen in Schule und Hochschule im Wesentlichen um eine Reduktion von Bildungsausgaben und das spätere klaglose  Funktionieren des Bürgers in einer exportorientierten Wirtschaft  ging, nicht aber um eine Stärkung des staatsbürgerlichen und reflexiven Bewusstseins. Im Juli 2005 verfassten Andreas Gruschka und sechs weitere Pädagogen weithin ungehört, wenngleich an attraktiver Stelle auch öffentlich widersprochen, ihre „Fünf Einsprüche gegen die technokratische Umsteuerung des Bildungswesens“ unter der Überschrift „Das Bildungswesen ist kein Wirtschafts-Betrieb!“[53]. Der erste Punkt lautet: „Wir wenden uns gegen die Illusionen einer alle politischen Parteien übergreifenden Bildungspolitik, die das Bildungssystem nach betriebswirtschaftlichen Mustern in den Griff zu bekommen sucht.“

Erst einige Jahre später lassen sich auch andere Widersprüche vernehmen. So schreibt der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes im Mitteilungsblatt seines Verbandes im November 2009: „Wer OECD-Studien und EU-Bildungsprogramm, aber auch aktuelle nationale Bildungskonzepte wie Bildungsstandards nach der Formulierung einer Bildungsidee durchforstet, wird nicht fündig werden. Diese Konzepte sind in der Tat illusionslos abgestellt auf ökonomische Erfordernisse, auf Konkurrenzfähigkeit und die Humanressourcen. Ziel der Schule sei es, das „Humankapital“ optimal zu nutzen. An der Sprache werdet ihr sie erkennen! Statt um Bildung geht es um „Life skills“, „Employability“ und einen Kompetenzbegriff, der sich in hohem Grade vom Wissens- und Bildungsbegriff abgekoppelt hat.“ [54]

In einem Leserbrief in der „Frankfurter Rundschau“ vom 19. September 2011 fasst der Frankfurter Neurowissenschaftler und Biologe Gerhard Roth die Bemühungen um die Verbesserung des Bildungssystems in Deutschland zusammen: „Unser Bildungssystem ist weitgehend abgeschottet von kritischer Überprüfung. Es mangelt keineswegs an Reformversuchen, die teils von oben, d.h. von den Schulbehörden, teils von unten, d.h. von den Lehrerinnen und Lehrern, unternommen wurden. Leider sind die meisten Versuche ersterer Art am grünen Tisch ausgedacht, und zwar entweder von Politikern, die einer bestimmten Parteiideologie anhängen, oder von Vertretern der Schulbehörden, die als ehemalige Lehrer froh darüber sind, mit dem Schulalltag nichts mehr zu tun zu haben. In keinem mir bekannten Fall geschahen diese von oben verordneten Versuche aufgrund ausführlicher Kenntnisnahme gesicherter empirischer Befunde. Nicht viel besser sieht es aus, wenn man die Reformbemühungen von unten betrachtet. Meist folgt man hier pädagogisch-didaktischer Ratgeberliteratur, die kaum von fundierten Erkenntnissen getrübt ist.“ Schließlich stellte der FDP-Parlamentarier Heiner Kamp (Nordrhein-Westfalen) in einer „Debatte über den kooperativen Bildungsföderalismus“ im Deutschen Bundestag am 26. Januar 2012 fest: „Die bildungspolitische Arbeit geht zu einem Großteil an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei.“[55]

Das Schulfach Geographie zwischen Anspruch und Wirklichkeit

In dieses bildungspolitische Umfeld war und ist Schule seit den 1990er Jahren eingebettet. Das Fach Geographie in der Schule kam bei alledem nicht allzu gut weg, stand auch von Anfang an durchaus auf wenig tragfähigem Grund. Nur in wenigen Bundesländern war die für ein ernst zu nehmendes Fach unabdingbare Forderung erfüllt, zweistündig in allen Jahrgangsstufen und Schultypen unterrichtet zu werden.  Kein- oder Einstündigkeit waren keine Ausnahmen in den Stundentafeln der Schulen im Fach Geographie. Das schriftliche Abitur in Geographie war nicht überall möglich; das Fach war mit Geschichte, Gemeinschaftskunde/Politik und Religion/Ethik von der KMK dem gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenbereich zugeordnet. Geschichte allerdings war im bildungspolitischen Bewusstsein im Vergleich zu Geographie deutlich höher angesiedelt und Religion/Ethik gemäß  Art. 7 (3) GG und mindestens in Baden-Württemberg gem. Artikel 18 der Landesverfassung wie auch Gemeinschaftskunde (Artikel 21) ohnehin ein Fach mit Priorität. In Schülerkreisen sprach es sich auch herum, dass im Fach Geographie hohe Anforderungen an Selbständigkeit, Formulierfähigkeit und komplexes Denken gestellt wurden, außerdem schreckte der naturwissenschaftliche Anteil viele ab, die sich bei der Wahl von Wirtschaft, Politik, Religion/Ethik oder Geschichte mit ähnlichen Inhalten wie in der Geographie beschäftigen konnten, aber ohne naturwissenschaftliche Unterfütterung   –  da versprach die Wahl anderer Fächer als Geographie bei geringeren Anforderungen höhere Punktzahlen.

In einem Brief an die Vorsitzenden der Landesverbände des VDSG schrieb der 1. Vorsitzende des Gesamtverbandes, Dr. Dieter Richter, am 13. Dezember 1995: „Wir hätten viel erreicht, wenn Geschichte, Gemeinschaftskunde und Erdkunde gleichgestellt behandelt, von den Schülern wählbar wären.“  In der „Würzburger Erklärung zur Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe“  einigten sich im gleichen Jahr die drei Fachlehrerverbände der Historiker, Politologen und Geographen auf die Gleichbehandlung der drei Fächer – ohne freilich die Rechnung mit den Bildungspolitikern ihrer Länder gemacht zu haben, die ihre eigenen Schwerpunkte setzten, zu denen die Geographie nicht gehörte – trotz drängender Probleme, die in der Schule eigentlich von der Geographie fachkompetent zukunftsweisend behandelt werden mussten und darüber hinaus optimale Möglichkeiten zu methodenbewusster didaktischer Aufbereitung boten, wie beispielweise den sich verstärkenden Umweltschutzerfordernissen, Ressourcenknappheit, Notwendigkeit zu nachhaltigem Wirtschaften, Stadtentwicklungsproblemen, immer mehr in das Bewusstsein rückendem Klimawandel mit seinen ökologischen und wirtschaftlichen Folgen sowie der zunehmenden Globalisierung mit dem kostengünstigen Leben hier auf Kosten der sozialen Verträglichkeit dort und mehr.

Das unter großem Erstaunen der Politiker in unseren Tagen festgestellte, die Wirtschaft der Welt erschütternde Finanzgebaren von Investoren und Devisenjongleuren war beispielsweise schon in den 1990er Jahren vielleicht nicht stringent lehrplankonform und überall, aber sehr häufig  genauso Thema des Geographieunterrichts in der Schule wie etwa die für viele heute so überraschende Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Süd- und Ostasien oder auch die aktuelle  demographische Entwicklung im eigenen Land [56]. Diese auch für den Einzelnen und sein Verhalten absolut wichtigen, in die Zukunft weisenden Inhalte scheinen unsere Schülerinnen und Schüler allerdings aus dem in der Hierarchie der Unterrichtsfächer eher als weniger wichtig erscheinenden Schulfach Geographie nicht mit ins Erwachsenenleben genommen zu haben. Gleichwohl hat Köck in einer Untersuchung akribisch herausgefunden, dass geographische Inhalte im Ansehen von Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern weit oben stehen[57]. Trotzdem wurde „das Fach schulorganisatorisch als bloße Verfügungsmasse behandelt“[58]und stand in der Regel mit als erstes zur Disposition, wenn in den Stundentafeln Platz für neue Fächer geschaffen werden sollte – von Wirtschaft über die gesellschaftswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Integrationsfächer bis „Methodenkunde“ oder „Glück“.

Dabei erfüllt die Geographie eigentlich aus sich heraus über das Fachliche hinaus alle Kriterien, die von einem modernen Fachunterricht heute gefordert werden – Kapitelüberschriften im „Memorandum zur geographischen Bildung und Erziehung in Deutschland“, das der Verband Deutscher Schulgeographen im Jahre 2002 (2. Auflage 2004) unter dem Titel „Geowissenschaften und Globalisierung“ herausgab, weisen darauf hin: Geographieunterricht
–               bildet Raumbewusstsein,
–               hat inhaltliche und erzieherische Aufgaben,
–             vermittelt Fertigkeiten, Fähigkeiten und führt zu bildungsbezogenen
Verhaltensweisen,
–               vermittelt lebens- und zukunftsbedeutsame Inhalte,
–               ist vernetzend, fachübergreifend und fächerverbindend,
–               vermittelt geowissenschaftliche, wirtschaftliche und
sozialwissenschaftliche Inhalte,
–             vermittelt und übt vielfältige Methoden.

Ein wichtiges Bestreben der Bildungspolitik nach PISA war es, nationale Bildungsstandards[59] für die Schulfächer zu formulieren. Die Standards sollten dann als Grundlage für die Ausarbeitung von schuleigenen Curricula für jedes Fach gelten. Die Kultusministerien ersparten sich damit die Mühe und Kosten der Ausarbeitung von landesweiten Bildungsplänen, die ohnehin in der Öffentlichkeit wegen ihrer Inhalte oder Auslassungen ständig Anlass zu Klagen geboten hatten. Die Lehrerkollegien hatten die Schul-Curricula in Abstimmung mit den Schulgremien ohne Unterrichtsentlastungen zu erarbeiten. Eine Art Rahmenvorgabe für ein Geographie-Curriculum für die Klassen 5 bis 10 hatte der VDSG in Fortschreibung des „Basislehrplans des Zentralverbandes der Deutschen Geographen“ von 1980 bereits 1998 (2. Auflage 2004) als „Grundlehrplan Geographie. Ein Vorschlag“  vorgelegt. [60] Im Jahre 2006 veröffentlichte dann die DGfG „Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss“, die ein Jahr später um „Aufgabenbeispiele“ ergänzt wurden.[61]

Das Wort vom „Meilenstein“, den die Bildungsstandards in der bildungspolitischen Entwicklung darstellen, zog sich bei der Bewertung der Bildungsstandards durch die Ebenen der bildungspolitischen Meinungsäußerungen.[62] Aber die Übersicht über die Implementierung der Bildungsstandards ergibt doch, dass sich die Länder bei der Lehrplanarbeit – außer aus Sicht der Geographen vorbildlich in Niedersachsen – aus unterschiedlichen Gründen an den Standards der DGfG nicht orientieren.

Eigentlich sind die Geographie-Bildungsstandards von der DGfG aus der Verlegenheit heraus entwickelt worden, dass die KMK für weitere Erarbeitungen  als für die von ihr vorgesehenen Fächer kein Geld hatte: „Die KMK ließ (…) Standards für Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache sowie für die Fächer Biologie, Chemie und Physik entwickeln. Nachdem zunächst geplant worden war, Standards für alle Fächer zu entwickeln, stellte sich im Herbst 2004 heraus, dass die KMK wegen des hohen finanziellen Aufwandes auf absehbare Zeit keine weiteren Standards in Auftrag geben wird. Die DGfG entschloss sich darum, aus eigener Initiative nationale Bildungsstandards für das Fach Geographie zu konzipieren und diese der KMK sowie den Kultusbehörden der Länder vorzulegen.“ [63] Eine breite Diskussion unter den  Mitgliedern der Teilverbände der DGfG und besonders unter denen des VDSG über die Bildungsstandards der DGfG kam allerdings nicht auf – was allerdings sicherlich auch der um sich greifenden Lethargie angesichts des bildungspolitischen Reformeifers geschuldet war, die die Schulen ergriff und den die Lehrerschaft war zu schultern hatte.

Somit sind die Standards wieder „von oben“ angeregt worden und von der Bildungspolitik der Schule übergestülpt worden, obgleich überhaupt nicht klar war, welchen Wert oder Sinn sie bei der Vielzahl der Unterschiedlichkeiten der Bildungssysteme, der Schulen und Schüler haben könnten. Aus dem VDSG war aber schon 1999 die Forderung gestellt worden, Bildungsstandards – damals nach Vorbild der USA – aus eigenem Antrieb aus der Mitte der deutschen Geographenschaft aufzustellen.

Zwischen den Extremen „Meilenstein“ (s.o.) und „pädagogisch sinnlos“ (U. Herrmann in „Frankfurter Rundschau“ v. 14. September 2004[64]) bewegen sich inzwischen die Urteile über Bildungsstandards. Gleichwohl werden sie als Beweis für die „Reflexions- und Handlungsfähigkeit“ von Fachdidaktiken angesehen und: „Keine Fachdidaktik kann mehr der Frage ausweichen, welchem Kompetenzmodell ihre Arbeit folgt und welchen spezifischen Beitrag zur Allgemeinbildung sie erbringt; keine auch der Frage, ob denn ihre hehren Ziele und Vorgaben auch realisierbar sind (…).“[65]Inwieweit Standards dem Lehrer beim Unterricht, der Schule bei der Bewältigung ihrer pädagogischen Aufgabe und dem Schüler bei der Optimierung seiner Leistungen helfen, bleibt zu untersuchen.

Immerhin stellen die Bildungsstandards Geographie in Anlehnung an die Bildungsstandards der KMK in den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch sowie den naturwissenschaftlichen Fächern Biologie, Chemie und Physik den Versuch dar, das Fach Geographie im Fächerkanon der Schule als mindestens inhaltlich ebenbürtig aufzuwerten. Das scheint allerdings nicht gelungen zu sein. Dem verbandspolitischen Ansehen der Geographie nützen sie jedenfalls, was die große Anzahl an Bestellungen beim GeoBüro des VGDH[66] manifestiert.  Auch die positiven Reaktionen aus bildungspolitischen Institutionen bis hin zu den Kultusministerien belegen dies – wenn sie denn ehrlich gemeint sind und nicht nur pflichtgemäß, aber folgenlos loben.[67]

Allerdings – auch wenn der Verfasser dieser Zeilen selbst – im Nachhinein vielleicht zu wenig kritisch – an der Erstellung der Bildungsstandards beteiligt gewesen ist, so ist Reflexion auch hier und auch nachträglich angebracht. Denn die von der Schulpraxis ausgehende Überschau der Standards innerhalb der verschiedenen „Kompetenzbereiche“ lässt doch Zweifel aufkommen, ob insgesamt der von der Bildungspolitik  vorgegebene Zeitrahmen unseres – oft nicht selbständigen –  Faches von – manchmal – zwei Unterrichtswochenstunden bis zur Mittleren Reife tatsächlich ausreicht, um beispielsweise unter vielen anderen auch den Standard S17 im Kompetenzbereich F4: „Fähigkeit, Mensch-Umwelt-Beziehungen in Räumen unterschiedlicher Art und Größe zu analysieren“ tatsächlich zu erreichen, in dem es apodiktisch heißt: „Schülerinnen und Schüler können das funktionale und systemische Zusammenwirken der natürlichen und anthropogenen Faktoren bei der Nutzung und Gestaltung von Räumen (z.B. Standortwahl von Betrieben, Landwirtschaft, Bergbau, Energiegewinnung, Tourismus, Verkehrsnetze, Stadtökologie) beschreiben und analysieren.“ [68] Das liest der ausgebildete Geograph gerne und kann seinen Beifall nicht verhehlen. Anders sieht es vielleicht mit dem Geographielehrer in der Klasse aus, der sich einer 10. Klasse mit 30 postpubertären Schülern oder mehr gegenüber sieht, die in einzelnen Hauptschultypen oder Realschulen der Abschlussprüfung „Mittlere Reife“ mit ganz anderen Schwerpunkten entgegensehen und im Gymnasium in größerer Anzahl mit den Gedanken beschäftigt sind, wie ihre zukünftige Schullaufbahn aussehen kann. Die Bildungsstandards Geographie umfassen  24 Kompetenzbereiche mit 77 Standards – vielleicht wäre so mancher Prüfer in einer Bachelor-Prüfung glücklich, wenn sein Prüfling wenigstens einen Teil davon  beherrschte. Das Motto des 32. Internationalen Geographie-Kongresses in Köln 2012 lautete: „Down to Earth.“ Auf den Geographieunterricht an der Schule angewendet, könnte es lauten: „Zurück zum Möglichen.“

So verdienstvoll die Ausarbeitung der Bildungsstandards Geographie auch unter der Federführung der Geographiedidaktik ist, sind doch gerade sie ein Beispiel dafür, dass sich auch die Schulgeographie in Sachen Bildung, Schule und Unterricht in den vergangenen Jahrzehnten von der Politik hat treiben lassen, ohne die m.E. eigentlich erforderliche Notbremsung vorzunehmen. Der Wiener Pädagoge und Philosoph Konrad Liessmann wundert ich: „Verblüffend ist (…) nicht die Propaganda des Reformgeistes, verblüffend ist die Demut, mit der sie allerorten hingenommen und affirmiert wird. Wie auch immer der große historische Horizont beschaffen sein mag – gerade das demonstrative Beschwören von Sachzwängen und Reformnotwendigkeiten zeugt in der Regel davon, dass auch anderes möglich wäre. Der Glaube an die Unausweichlichkeit unserer Zeit gehört womöglich zu jenen Illusionen, die notwendig sind, damit das Unausweichliche tatsächlich unausweichlich wird.“[69]

Die stabilste Begründung dafür, warum die Standards Geographie trotz aller Unwägbarkeiten ihrer Implementierung erarbeitet wurden, war, dass sie aus fachpolitischen Gründen benötigt wurden, um der Erarbeitung von Standards für den gesamten gesellschaftswissenschaftlichen Bereich zuvorzukommen. Davon war aber nach der o.a. Beschränkung der Erarbeitungen von Standards durch die KMK keine Rede.  Auch die Schulgeographie hätte mehr auf warnende Stimmen hören sollen und über ihre Grenzen und Möglichkeiten realistisch reflektieren sollen.

Heute ist – bei allen regionalen Unterschieden – das Schulfach Geographie an vielen Schulen kaum noch als solches präsent, sondern seine Inhalte sind – wie oben erwähnt – in andere Fachbereiche oder Integrationsfächer mit wenig fachspezifischen Bezeichnungen durchgereicht, in denen gleichwohl Geographielehrer unterrichten ihre originären Inhalte unterrichten. Insofern ist das, was – wie oben angesprochen – auf Seiten der Hochschulgeographie geschah, nämlich das Selten-Werden des Namens „Geographie“ durch die Spezialisierung, auf der Schulseite ähnlich geschehen, indem eigentlich originär geographische Inhalte immer mehr in andere Fächer und Fachbereiche absickerten, die Fachbezeichnung „Geographie“ selbst aber immer mehr verschwand und das Fach weitgehend Unterstufenfach wurde.

Wenn es aber stimmt, dass die Schulgeographie die Basis der Hochschulgeographie und damit für das Fach insgesamt ist, besteht hohe Gefahr, dass die Geographie in anderen Fachbereichen aufgeht und als selbständiges Fach verschwindet. Ganz abgesehen davon ist es natürlich für Schulleitungen viel einfacher, in einem nicht als „Geographie“ bezeichneten Fach, in dem gleichwohl eher geographische Inhalte unterrichtet werden sollen, einen nicht-Geographen als Fachlehrer einzusetzen, der diese geographischen Inhalte unterrichtet. Das aber ist fachfremder Unterricht, der einem qualitativ hohen Unterrichtsniveau nicht adäquat sein kann.

Dabei kann es in einer zusammenwachsenden, vielfältig systemisch verflochtenen Welt nur nachdenklich stimmen, wenn die Schwierigkeiten des Schulfaches Geographie die Schwierigkeiten des Faches in der Welt spiegeln, wie es beispielsweise in der Darstellung des Schulfaches aus 14 Ländern anlässlich des IGU-Kongresses 2004 in Glasgow deutlich wird[70]. Es scheint, dass nicht nur in Deutschland die „Geographen“ den fachlichen und erzieherischen Wert ihres Faches mit zu wenig Überzeugungskraft gegenüber Bildungspolitikern vertreten haben.

Das klingt alles eher negativ, die neueren Entwicklungen ablehnend und neuen pädagogischen und didaktischen Grundsätzen gegenüber ziemlich verschlossen. Das aber wäre eine Fehleinschätzung. Denn nicht zu übersehen ist, dass heute (endlich) alle Methoden in angemessenem Mix erwünscht und dazu geeignet sind, den Unterrichtserfolg zu verbessern. Vorfälle, wie ich sie selbst zu Beginn meiner Schullaufbahn Anfang der 1970er Jahre erlebt habe, gehören sicherlich endgültig der Vergangenheit an:

Als neuer Junglehrer an der Schule, an der ich seitdem für die nächsten 34 Jahre unterrichten durfte, führte ich voller Begeisterung eine erste Geographie AG durch. Ich war davon überzeugt, dass die Ergebnisse eines solchen Projektes auch der Schulöffentlichkeit vorgestellt werden sollten, was seinerzeit noch eher ungewöhnlich war. Ich organisierte mit meinen Schülern also die Ausstellung im Foyer des Schulhauses. Wenig später wurde mir berichtet, einer der Kollegen habe einen anderen gefragt, ob „der Neue“ unter Profilneurose leide.

Weiter ist nicht zu übersehen,
– dass die Diskussion um PISA bei allen kontroversen Inhalten ein allgemeines Interesse an Bildung, Schule und Unterricht angefacht hat,
– dass die didaktische und pädagogische  Arbeit der Lehrer neu eingeschätzt worden ist, weil – nicht immer, aber immer mehr  – über die Schulwirklichkeit berichtet wurde,
– dass innerhalb der Schule die Zusammenarbeit der Lehrer verbessert wurde,
– dass allerdings doch die Schülerleistungen durch Senkung des Anforderungsniveaus in den Prüfungen zugunsten einer erhöhten Quote der Qualifizierten nivelliert wurden – was überhaupt nicht ausschloss, dass die Besten sich durch überproportionale Beteiligung am Schulleben und überragende Ergebnisse in den Fächern herausschälen konnten.

Reflexion über Bildung, Schule und Unterricht tut immer not, muss aber ehrlich auf glaubwürdigen Grundlagen beruhen und auch zu realistischen Ergebnissen führen. Nur dann kann der Bildungspolitik Vertrauen geschenkt werden, das für wahrhaftiges Engagement unverzichtbar ist. Das bildungspolitische Geschehen seit den 1980er und 1990er Jahren aber „nervt“ den erfahrenen Schulpraktiker, weil beispielsweise
– pädagogische und didaktische Anstöße für Schule und Bildung mit extrinsischen Begründungen gerechtfertigt wurden („Im Ausland ist es …“, „Die OECD hat gezeigt…“),
– die Vorschul- und Primarstufe der Schule sträflich vernachlässigt wurde, so dass die unterschiedlichen schulischen Voraussetzungen für und Eingewöhnungen  der Schülerschaft in Schule große Entwicklungsunterschiede in Klassen der weiterführenden Schulen  provozierten, die Unterricht mindestens erschwerten,
– Lehrerinnen und Lehrer durch  fehlende Anreize in Hinsicht auf Mitverantwortung, Beförderung und finanzielle Verbesserung in ihrem fachlichen und beruflichen Ehrgeiz ohne weitere persönliche Einbußen  nachlassen konnten,
– die Bildungspolitik es  verstanden hat, die eher wenig haushaltswirksamen Veränderungen wie Lehrplanänderungen oder unterrichtspädagogische Maßnahmen in den Fokus zu stellen, anstelle der kostenträchtigen Notwendigkeit, Schulen besser auszustatten, kleinere Klassenteiler[71] vorzusehen, mit flexiblen, auf die Schule zugeschnittenen Maßnahmen auf die sich verändernde Schülerschaft zu  reagieren, die mehr pädagogische Zuwendung, unterschiedliche fachliche Vertiefungen (Deutsch für Ausländer) und selbstbewusste Lehrer brauchte, die ein sicheres Urteil darüber hatten, was ein Schüler für das „spätere Leben“ benötigt oder die Vorbereitungszeit für angehende Lehrerinnen und Lehrer fachlich, pädagogisch, didaktisch und zeitlich angemessen zu gestalten,
– die Bildungspolitik die Lehrerinnen und Lehrer eher als Ausführende ihrer Richtlinien gesehen hat denn als mündige, akademisch[72] gebildete und  in ihren Fächern und pädagogischen sowie didaktischen Fähigkeiten ausgebildete und geübte Fachleute, die in der Mehrzahl bereit und dazu fähig waren, für ihre Schüler/innen pädagogische und fachliche Verantwortung zu übernehmen,
– keine Regelungen geschaffen wurden, die dazu geeignet wären, für den Lehrerberuf ungeeignete Personen auszumustern, ohne sie in die Schulverwaltung oder Fachdidaktik wegzuloben,
– beinahe immer in großer Bereitschaft, aber ungeprüft auf diejenigen pädagogischen und didaktischen Vorschläge eingegangen ist, die wortgewaltig und populistisch, aber einseitig und oft nicht frei von eigenen Interessen vorgetragen wurden,
– es weitgehend versäumt wurde, den Schulleitungen die Möglichkeit zu geben, durch Berücksichtigung der sozialen Lage und Herkunft ihrer jeweiligen Schülerschaft auf die spezifischen Erfordernisse ihrer Klientel einzugehen,
– Bildung und Schule mit Kriterien gemessen werden sollten, die aus der Wirtschaft übernommen wurden – wobei verkannt wurde, dass Schülerinnen und Schüler Individuen sind, die  nicht aus immer gleichen Teilen zusammengeschraubt und nach dem Schulabschluss als fertiges Produkt mit garantierter Qualität auf den Markt geworfen werden können,
– mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Lehrerschaft und die Schulen gezeigt wurde, ohne zu bemerken, dass (nach einem Bonmot, das dem früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann zugeschrieben wird) drei Finger ihrer ausgestreckten Hand dabei auf die Bildungspolitik zurückweisen,
– insgesamt kaum die realen Schulen und der tatsächliche Unterricht im Brennpunkt der Bildungspolitik standen, sondern einerseits Vorstellungen von Schule, in denen negative pädagogische und didaktische Ausreißer unberechtigt verallgemeinert wurden, obwohl andererseits medienwirksame Schulbesuche der Verantwortlichen auch immer auf wohl vorbereitete Schulen, Klassen, Lehrer, Schüler und Eltern trafen und damit eigentlich ein eher positives Bild vermittelten, [73]
– Anstöße von außen unbedingt zu „der Weisheit letzter Schluss“ erhoben wurden, wenn sie dem bildungspolitischen Trend zu entsprechen schienen, ohne dass die Bildungspolitiker sich der Mühe unterzogen, ihre Umsetzung in der tatsächlichen Schul- und Unterrichtswirklichkeit zu überprüfen,
– Schulen weitgehend über einen Kamm geschoren wurden, anstatt die tatsächlichen Erfordernisse an der einzelnen Schule an ihrem jeweiligen Standort mit seinen individuellen Anforderungen zu analysieren und ihnen durch Förderung zu entsprechen.

Im eigenen Bereich müssen wir uns darauf besinnen,
– dass wir in der Schule keine Geographen ausbilden, sondern dass geographische Inhalte dazu dienen sollen, dass unsere zukünftigen Bürger den Raum bewusst wahrnehmen und sich in ihm angemessen verhalten können,
– dass auch Geographielehrer heute immer mehr Berater und Unterstützer der Schüler sein müssen, die ihren Weg im Gestrüpp der vielen Unwegsamkeiten finden sollen,
– dass unserem Fach in der Schule allein durch die maximal zwei Wochenstunden Grenzen auferlegt sind, die es nicht zu überschreiten gilt. Eine gründliche Beschäftigung mit einem Thema kann mehr sein als die oberflächliche Beschäftigung mit vielen,
– dass die vielen verschiedenen Begabungen und Fähigkeiten unserer Schüler notgedrungen dazu führen, dass nicht alle unserer Schüler hohes Interesse an unserem Fachgebiet aufbringen – stellen wir deswegen nicht nur Maximalforderungen, aber freuen uns über und fördern  jeden, der mehr leistet,[74]
– dass wir anspruchsvoll gegenüber dem sein sollen, der leistungsbereit ist, aber genügsam und geduldig  gegenüber dem, der andere berechtigte Interessen hat,
– dass wir uns darüber klar werden, was der Schüler nicht als zukünftiger Geograph von unseren Inhalten und Methoden wissen muss, sondern als zukünftiger mündiger Staatsbürger,
– dass nur ein fachlich hochrangig ausgebildeter Lehrer auch in der Lage ist, aus der Vielzahl der möglichen Unterrichtsinhalte und –nuancen diejenigen auszuwählen, auf denen er kontinuierlich im schulischen Erziehungs- und Bildungsprozess seines Schülers aufbauen kann,
– dass – last, but not least – unser Fach inhaltlich und methodisch eigenständig und nicht nur ein Zuträgerfach für andere Fächer ist, weder allein  „Integrationsfach“ für die Geowissenschaften an der Schule ist (andere Fächer behandeln inzwischen ebenfalls geowissenschaftliche Inhalten) noch gar das Alleinstellungsmerkmal der Funktion eines  „Brückenfaches“ zwischen Natur- und Kulturwissenschaft hat – es ist nicht erkennbar, dass natur- und kulturwissenschaftliche Fächer allein das Fach Geographie als Brücke – in welche Richtung auch immer –  benutzen.[75]

 

Der Lehrplan „Erdkunde“ des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahre 1957 umfasst inklusive methodischer Vorbemerkungen ganze  drei  Seiten im Format A 5. Im Mittelpunkt des Erdkundeunterrichts sollte seinerzeit die „länderkundliche Betrachtung“ stehen, die aber ausdrücklich nur als „e i n e  [sic!] von verschiedenen Möglichkeiten der Behandlung von Raumeinheiten“ angesehen wurde.  Der „Stoffplan“ für die Klassen 5 bis 9 und der Oberstufe  des Gymnasiums umfasst auf  1 ½   A 5-Seiten in stichwortartiger Kürze Grundbegriffe und Hinweise.

Der Bildungsplan  2004 des Landes Baden-Württemberg – neben der neuen Ausrichtung auf „Kompetenzen“ und politisch gewollt erheblich verkürzt gegenüber dem umfangreichen Vorgänger aus dem Jahre 1984 – umfasst für das Fach Geographie innerhalb des Fächerverbundes Geographie/Wirtschaft/Gemeinschaftskunde (GWG) immer noch 14  A 4-Seiten. Einige geographische Themen sind in die beiden anderen Fächer des Verbundes abgedriftet, z. B. in das Fach  Gemeinschaftskunde „Das Problem der Nachhaltigkeit in einer globalisierten Welt“ oder „Wirtschaftswelt und Staatenwelt“, in das Fach Wirtschaft „Wirtschaftliches Handeln im Sektor Ausland“.

Wie oben angeführt, haben auch andere, oft der Geographie durchaus affine Fächer geographische Inhalte übernommen, z. B. Physik „Naturerscheinungen und technische Anwendungen“, Chemie „Umwelt und Gesellschaft“ oder Biologie „Ökosysteme“, aber auch „Natur“ in Ethik. Wenn man dann noch bedenkt, dass beispielsweise Umweltschutz, Entwicklungsländer, Stadtentwicklung oder Verkehrsplanung oft auch thematische Ansatzpunkte für Überlegungen, Erörterungen, Diskussionen oder Umsetzungen  in den sprachlichen und künstlerischen  Fächern sind, durchziehen geographische Inhalte beinahe den gesamten Unterricht. Was die Geographie eigentlich zufrieden stellen könnte, bleibt doch unter Vorbehalt, denn fachfremder Unterricht oder geographische Inhalte nur als Vehikel für andere Ziele können  Geographieunterricht nicht ersetzen.

Der „Grundlehrplan“ des Verbandes Deutscher Schulgeographen aus dem Jahre 1998 ist nicht viel umfangreicher als der Lehrplan von 1957/BAW, enthält aber vielfältige  methodische Hinweise  und didaktische Prinzipien. Das, was  Inhalt im Geographieunterricht der Klassen 5 bis 10 sein sollte, passt auf eine dreiseitige Übersicht.

Dem Lehrer bleibt in einem Lehrplan wie beispielsweise dem von 1957/BAW oder dem „Grundlehrplan“ des VDSG die Aufgabe, unter Berücksichtigung der besonderen Situation seiner Klasse den Stoff inhaltlich und methodisch so aufzubereiten, dass er erfolgreich vermittelt werden kann. Zwischen dem Geforderten und dem pädagogisch Möglichen bleibt ihm so der erforderliche Spielraum, sich auf seine Schülerinnen und Schüler individuell einzustellen. In der Fachschaft einer Schule müssen Verabredungen über die Inhalte getroffen werden, damit die Lehrmittel dafür zur Verfügung gestellt werden können. Das entspricht dem, was in den Schulen heute als „Kerncurriculum“ von außen zugewiesen und intern durch ein „Schulcurriculum“ ergänzt wird.

Nicht zu übersehen ist allerdings, dass Lehr-/Bildungspläne von einer eher idealen Verfügung der Unterrichtsstunden ausgehen. Unter Berücksichtigung der Besprechung von möglichen entwicklungspsychologischen oder schulinternen, aber insgesamt fachfremden Items innerhalb der Geographiestunde – vor allem, wenn der Fachlehrer zugleich Klassenlehrer ist – sowie voraussehbarem Unterrichtsausfall bleiben von den 80 Unterrichtsstunden bei zwei Wochenstunden bei zugegeben spitzer Rechnung ganze 15 Unterrichtsstunden übrig.[76]

Vorbehalte und Vorurteile sollten mutig auf ihre Berechtigung hin befragt werden. Das Prinzip „Vom Nahen zum Fernen“ ist fragwürdig, wenn sich die Kinder in unteren Klassen von der Fremde und von Abenteuer faszinieren lassen, die älteren aber in Projekten auch die Welt vor der Schul-Haustür selbst erforschen könnten.[77] Wenn dann noch dem bildungspolitischen Zeitgeist Tribut gezollt wird und eine Möglichkeit der angemessenen externen Evaluation gefunden würde, die vielleicht zu einem regionalen Schul-Ranking mit Belohnungsanreizen führen könnte, wäre die Balance zwischen pädagogischer Freiheit und Verantwortung auf der einen  sowie bildungspolitischem Anspruch des Staates auf der anderen Seite  vielleicht gefunden.

Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, eine kleine gesellschaftliche Gruppe wie die Geographen kann das allemal nicht. Sie kann die Welt auch nicht ändern – das geschieht jeden Augenblick ein bisschen und überall, bis dann so viel aufgelaufen ist, dass Änderung bemerkbar und als plötzlich wahrgenommen wird. Aber man kann dazu aufrufen, nicht dem Zeitgeist unter Kleinreden der eigenen Vorstellungen hinterherzulaufen, sondern im Vertrauen auf bewährte Ziele vielleicht neue, den veränderten Umständen angepasste Wege zu finden. Sie sollten dann aber nicht vorgeben, den Gang der Dinge neu erfunden zu haben. Und über das Ziel sind wir uns – hoffentlich – einig, nämlich in der Schule den Heranwachsenden zu helfen, im Wissen über das Gewesene und im Verständnis des Jetzigen dazu bereit zu sein, den ihr jeweils möglichen Teil an persönlicher Verantwortung für den freiheitlichen Bestand der Gemeinschaft zu übernehmen. Dazu gehören beispielsweise neben Ethik, Aufgeschlossenheit, Selbstbewusstsein sowie der Beherrschung der Kulturtechniken vor allem auch  Raumbewusstsein und Weltkenntnis.  Bei der neoliberalen Ausrichtung von Schule und Unterricht auf „Kompetenzen“ scheint das allerdings inzwischen doch nicht mehr allgemeiner Konsens zu sein – oftmals, es soll hier doch ausgesprochen werden – auch aufgrund zu geringer eigenständiger Reflexion.

Bildungspolitisch bestimmte, inhaltlich möglichst ausführliche, theoretisch und didaktisch aufgeladene und doch einseitige  zentrale  Vorschriften für Unterricht wie die der jüngeren Zeit werden dem kaum gerecht, was in einem Fach wie Geographie als erzieherische und fachliche Impulse zwischen Lehrer und Schüler oszilliert. Schule und Unterricht haben es mit Kindern,  Jugendlichen und jungen, aber noch heranwachsenden Erwachsenen zu  tun. Nicht der unterrichtliche Einzelfall ist für die Erkenntnis des Schülers entscheidend wichtig,  sondern  die Gesamtheit der Inhalte und der unterrichtlichen Aspekte. Die nach Meinung der „Lehrplanmacher“ interessantesten und bedeutendsten bildungspolitischen  Inhalte können bei schlechter Vermittlung oder alleine durch eine wenig ansprechende Persönlichkeit des Lehrenden zu Langweilern werden, vermeintliche Langweiler aber durch den anerkannten Lehrer plötzlich zu Highlights im Unterrichtsalltag mutieren.

Eine empirische Untersuchung über den kompetenten Lehrer kommt zu dem – allerdings noch nicht als „belastbar“ bezeichneten – Ergebnis, dass ein relativ hoher Anteil von 40% der an der Untersuchung teilnehmenden Lehrer ein besonders negatives Kompetenzprofil aufwies: „Das geringe Wissen und die ungünstigen motivationalen Orientierungen dieser Lehrkräfte gingen einher mit einer eher ungünstigen Unterrichtsgestaltung und mit durchweg unvorteilhaften Ausprägungen im beruflichen Wohlbefinden und in den Fortbildungsaktivitäten.“[78] Die öffentlichen Schulen können sich ihre Schüler nicht aussuchen – aber der Staat kann diejenigen auswählen, die die herausragend wichtige Aufgabe der öffentlichen Unterrichtung und Erziehung übernehmen wollen. Hier fehlt es noch an Mut, der es erlaubt, den Bewerbern für das Lehramt ihre persönlichen Prioritäten aufzuzeigen, wenn sie selbst dazu nicht fähig oder bereit sind – auch wenn professionelle Kompetenz von Lehrkräften nicht ursächlich mit einem angeborenen Talent oder einer einzelnen übergeordneten Fähigkeit verbunden sein soll. [79]

Die unabdingbare Voraussetzung für  „gute“ Schule und „guten“ Unterricht ist nicht nur die exzellente fachliche akademische Ausbildung der Lehrer, sondern auch deren sichere pädagogische Eignung, didaktische Schulung und ihr fundiertes Know-how in Organisation und Management.  Nur die in diesen Bereichen  Besten dürften – nicht nur nach der Meinung der derzeitigen Bundesbildungsministerin Schavan – Lehrer werden.[80] Das bedeutet nicht die Notwendigkeit, in jedem der Teilbereiche während der Ausbildung Module oder Semesterwochenstunden zu belegen. Gerade in den Bereichen Organisation und Management können durchaus ausreichende Grundkenntnisse auch im Selbststudium angeeignet werden. Der akademisch gut ausgebildete Lehrer hat dafür alle Voraussetzungen, und gut ausgestattete Büchereien sind zumindestens in Deutschland ubiquitär. Man muss sie nur benutzen.

 

Hinzu kommt als entscheidendes Auswahlkriterium für den Beruf „Lehrer“ die verantwortungsbewusste Persönlichkeit [81], die im Auftreten sicher, im Umgang freundlich, in der Sache fest, in der Beurteilung gerecht, von ihrem unterrichtlichen Ziel überzeugt und sich ihrer Rolle als Vorbild für die Schülerinnen und Schüler bewusst ist.  Ein Beispiel dazu aus der Praxis möge diese Darstellung abschließen, wenngleich sie die Leser/innen, die es bis hierher geschafft haben, doch einer eher negativen Stimmung überlässt: Den Versuch, in einer zweiten morgendlichen Unterrichtsstunde einer müden 11. Klasse einen geographischen Inhalt durch immer wieder neue methodische Kunstgriffe nahezubringen, breche ich dann doch ab und schreite zu einer Diskussion über die Gründe der morgendlichen Lethargie. Erst einmal sprachlos bin ich, als eine Schülerin mitteilt: „Der Lehrer in der ersten Stunde kam rein und sagte gleich, wir seien jetzt wohl zu müde für den Unterricht. Er allerdings auch, und er hoffe, dass dieser Tag schnell zu Ende gehe. Im übrigen freue er sich, dass bald wieder Ferien sind. Und da verlangen Sie von uns, dass wir uns mit dem Thema aufmerksam beschäftigen?“

 

 

 

 


[1] Unser Fach hat an den Schulen der deutschen Länder eine eher unübersichtliche Vielzahl von Namen, versteckt sich in einigen Ländern auch in Integrationsfächern wie (z.B. in Baden-Württemberg) „Naturwissenschaft und Technik“, oder Abkürzungen wie „EWG“, „GWG“, „WZG“ oder „MNT“, wird mal Erdkunde hier und Geographie dort genannt, oft aktualistisch mit „f“ geschrieben, was zu Wortspielen in Zusammenhang mit Geo-„Graf“ animiert. http://www.erdkunde.com/geographie.htm

[2] Nach Bommert, Wilfried: Bodenrausch. Die globale Jagd nach den Äckern der Welt. Köln 2012, S. 262.

[3] Auflistung bei Dittmann, Andreas (Hrsg.): Geographisches Taschenbuch. 31. Ausgabe 2011/2012. Stuttgart 2011, S. 63-67.

[4] Vgl. Dittmann, Andreas, Frauke Kraas, Wolfgang Schmiedecken: „Editorial“ in: Rundbrief des VGDH, Heft 232, Oktober 2011, S. 2 f.

[5] Spier, Fred: Big History. Was die Geschichte im Innersten zusammenhält. (…) Darmstadt (1998), S. 51.

[6] Ebda., S. 58.

[7] Ebda., S. 76

[8] Chakrabarty, Dipesh: Die Natur ist kein Trost mehr. (…) In: DIE ZEIT Nr. 45 vom 3. November 2011,
S. 21.

[9] Speck, Ulrich:  Schaufensterkunde. Der 44. Historikertag in Halle widmete sich den „Visionen und Traditionen“ des Fachs und dokumentierte die eigene Orientierungslosigkeit. In: Frankfurter Rundschau Nr. 215 vom 16. September 2002, S. 12.

[10] http://www.uni-muenster.de/unizeitung/2012/1-100.html vom 25. Januar 2012.

[11] In Anlehnung an Ladenthin, Volker: Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischer Orientierungslosigkeit. In: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik 3/2010, S. 346-358.

[12] Nach: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.): Bildung in Deutschland 2012. Bielefeld 2012, S. 252.

[13] Cismak, Viviane: Schulfrust. 10 Dinge, die ich an der Schule hasse. Berlin 2011. S. 203.

[14] Der Ministerpräsident von Niedersachsen fordert ein „Deutschland-Abitur“. (DIE ZEIT Nr. 39, 22. September 2011, S. 75 und DER SPIEGEL 38/2011, S. 38); im Oktober 2011 fordern Bildungsexperten, die  einen der bayerischen Wirtschaft nahestehenden  „Aktionsrat Bildung“ bilden, ein deutschlandweites „Kernabitur“ in Multiple-Choice-Form in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch etwa ab dem Jahr 2018.

[15] Messner, Rudolf: PISA und Allgemeinbildung. In: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 49, Heft 3/2003, S. 406 f.

[16] „Dichter und Denker und Demokraten und nicht zuletzt die erziehungswissenschaftliche Zunft waren gründlich blamiert.“ Schneider, Barbara: Bildungsstandards. In: Dzierzbicka, Agnieszka, und Alfred Schirlbauer (Hrsg.): Pädagogisches Glossar der Gegenwart. Von Autonomie bis Wissensmanagement. Wien 2006, S. 31.

[17] Pressemitteilung des KuMi BAW vom 11.1.2012

[18] Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.): Bildung in Deutschland 2012. Bielefeld 2012, S. 233.

[19] Nach: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.): Bildung in Deutschland 2012. Bielefeld 2012, S. 227

[20] Der Ministerpräsident Niedersachsens, David McAllister in einem Interview in DER SPIEGEL Nr. 38/2011 vom 19. September 2011: „Mit dem Bildungsminister ist es so wie mit dem Fußball-Bundestrainer: Jeder traut sich den Job zu, jeder fühlt sich berufen mitzureden.“ S. 38.

[21] Vgl. Gruschka, Andreas:  Didaktik. Das Kreuz mit der Vermittlung. Elf Einsprüche gegen den didaktischen Betrieb. Wetzlar 2011 = Schriftenreihe des Instituts für Pädagogik und Gesellschaft Münster, Band 9, S. 130.

[22] So zumindest der Eindruck des Verfassers, der in 26  Jahren als Fachberater für Geographie viele Unterrichtsbesuche und Lehrer/innen-Beurteilungen durchgeführt  und sich als führender Funktionär im Verband Deutscher Schulgeographen mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland „ausgetauscht“ hat. Öffentlich werden Lehrer/innen in der Regel selten positiv wahrgenommen, obgleich sich die Stimmen mehren, das Ansehen der Lehrerschaft  durch positive Berichterstattung über ihre Arbeit zu verbessern: Vgl. dazu jüngst „Klasse Lehrer! Was Pädagogen heute wirklich leisten müssen“ (Titelthema des Magazins „Focus“ Nr. 41/2011 vom 20. Oktober 2011); dagegen titelte das Magazin „Der Spiegel“ (Nr. 24 vom 14. Juni 1993) „Nervenkrieg im Klassenzimmer: Horrorjob Lehrer“.

[23] Spiewak, Martin: Geld im Gepäck. (…) DIE ZEIT Nr. 32 v. 2. August 2012, S. 29.

[24] Z.B.:  „Bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hat die Arbeitsgruppe um Bloom Lernzielbereiche unterschieden und auch hierarchisiert, sodass man durchaus von einem umfassenden Kompetenzmodell sprechen kann.“ Von Saldern, Matthias, und Arne Paulsen: Sind Bildungsstandards die richtige Antwort auf PISA? In: Schlömerkemper, Jörg (Hrsg.): Bildung und Standards. Zur Kritik des „Instandardsetzung“ des deutschen Bildungswesens. Weinheim. = Die Deutsche Schule. Zs. Für Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis 8, Beiheft 2004, S. 69. Vgl. auch die Arbeiten von Franz Schott seit etwa 1972.

[25] „Empirische Belege für die Qualitätssteigerung der Schulbildung durch Bildungsstandards stehen nach wie vor aus. (…) Die positiven Prognosen stellen sich bisher als unbewiesen – sprich: als bildungspolitische Visionen – heraus, während Nebenwirkungen wie das teaching to the test und didaktische Reduktion, auch die Marginalisierung nicht standardisierter Schulfächer zunehmend als Problem erkannt werden.“ Schneider, a.a.O., S. 37.

[26] Bildungsbericht 2012, S. 9.

[27] Herrmann, Ulrich: „Bildungsstandards“ – Erwartungen und Bedingungen, Grenzen und Chancen. In: Zs. für Pädagogik, Jg. 49, Heft 5/2003, S. 625-639.

[28] Huwendiek, Volker: Zur Eröffnung des 3. Fachdidaktik-Kongresses 2009 in Leipzig. In: Huwendiek (u.a., Hrsg.): Im Fokus: Fachdidaktik. BAK-Kongress Leipzig 2009 = Seminar – Lehrerbildung und Schule 2/2010. BAK Vj.schrift 16. Jg. 2010, S. 11.

[29] Felten, Michael: Doch, er ist wichtig! Wie gut Kinder lernen, hängt vom Können ihrer Lehrer ab. Der Umbau von Schulstrukturen ist zweitrangig. In: DIE ZEIT Nr. 45 v. 3. November 2011, S. 76.

[30] Giesecke, Hermann: Pädagogische Illusionen. Lehren aus 30 Jahren Bildungspolitik. (Stuttgart 1998), S. 26 f.

[31] Ders., a.a.O., S. 45.

[32] Frost, Ursula: Bildung bedeutet nicht Anpassung, sondern Widerstand. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, Heft 3/2010, S. 312-322, S. 312.

[33] Gerade im Bereich Fußball erweist sich – wie bei den meisten Übertragungen von einem in einen anderen Bereich –  die Vorbildlichkeit der so gepriesenen Teamarbeit für den Unterricht als Mythos: Auf die Frage in einem Interview, ob „der Mythos von den elf Freunden“ stimme, antwortet der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Philipp Lahm: „Nein. Realistisch betrachtet besteht eine Mannschaft aus zwei Dutzend Konkurrenten, Natürlich haben alle trotzdem das gemeinsame Ziel, den Erfolg, Aber ich würde keinem Profi raten, in der Mannschaft über intimste Dinge zu reden, zum Beispiel über eine Schwächephase, die man durchlebt. (…) Das bespricht man mit Freunden, nicht mit Mannschaftskollegen, die nur darauf warten, dass man Schwächen / zeigt.“ (Interview in Chrismon. Das evangelische Magazin. Nr. 10, 2011, S. 24 f.)

[34] Vgl. Prediger Salomo 1.9: „Was ists das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ists das man gethan hat? Eben das man hernach wider thun wird / Vnd geschicht nichts newes vnter der Sonnen.“ (Übersetzung von M. Luther)

[35] „Man wird durch Bildungsstandards nicht alles abdecken können, was Schule leisten muss. Dies darf aber nicht dazu führen, Bildungsstandards abzulehnen, sondern muss dazu zwingen, darüber nachzudenken, wie man die Qualität der nicht durch Tests zu überprüfenden Kompetenzen sichern kann.“ Von Saldern, Paulsen (a.a.O.), S. 77.

[36] Fink, Pierre-Christian: Nach der Uni der Ruin. Ein Studium zahlt sich in den USA nicht mehr aus – glauben amerikanische Experten. In: DIE ZEIT Nr. 38 vom 15. September 2011, S. 34.

[37] Für die Ergebnisse zu Bremen und Bayern im Rahmen der nationalen PISA-E-(Länder-)Untersuchung  zeigt Messmer im Wesentlichen gravierende soziale und kulturelle Unterschiede auf. Vgl. Messner, Rudolf: Was Bildung von Produktion unterscheidet. In: Schlömerkemper (a.a.O.), S. 32.

[38] Felten, Michael (a.a.O.), S. 76.

[39] Johnston, D.J.: Einleitung. In: Zentrum für Forschung und Innovation im Bildungswesen (Hrsg.): Bildungspolitische Analyse 2001.  OECD 2001., S 8.

[40] OECD: Bildungswesen mangelhaft. BRD-Bildungspolitik im Länderexamen. Frankfurt a.M. 1973.

[41] Martenstein, Harald: Der Sog der Masse. In: DIE ZEIT Nr. 46 vom 10. November 2011, S. 17.

[42] Einige (Dollase, Frost,  Gruschka, Koch, Klein, Krautz, Ladenthin) beispielsweise in Vierteljahrsschrift für Wissenschaftliche Pädagogik, Heft 3/2010. Siehe auch: http://www.bildung-wissen.eu. Vgl. zu den „beiden gegenwärtig in der Praxis wohl prominentesten Konzeptentwickler[n] für Unterricht“ (Hilbert Meyer und Heinz Klippert)  Gruschka, a.a.O., S. 328-364.

[43] Martenstein, a.a.O., S. 18.

[44] Felten, Michael, a.a.O.

[45] Vgl. Bos, Wilfried, Eckard Klieme und Olaf Köller: Vorwort. In: dies. (Hrsg.): Schulische Lerngelegenheiten und Kompetenzentwicklung. Festschrift für Jürgen Baumert. Münster (u.a.) 2010: „Auch wenn die hier vorgelegten Aufsätze immer wieder durch praktische Fragen motiviert sind (…) beziehungsweise klare praktische Implikationen haben (…), zeichnen sie sich doch vor allem durch einen hohen wissenschaftlichen, d.h. theoretischen und methodischen Standard aus.“ (S. 8)

[46] Martenstein, a.a.O.

[47] Das bedeutet – ohne Berücksichtigung der Ferienzeiten –  rechnerisch für G9 29,5 Stunden Unterricht pro Woche, für G8 33 Stunden pro Woche, ohne Teilnahme an freiwilligen Arbeitsgemeinschaften (Musik, Theater, Sport, Technik, exotische Sprachen…), die für Schüler eigentlich „das Salz in der Suppe“ sein sollten. Rechnet man die erforderliche Zeit für die Anfertigung der Hausaufgaben hinzu, so kommt ein Schüler der Mittel- und Oberstufe in G8 sicherlich z.T. weit über 40 Wochenstunden. Das wird von der Gesellschaft  weitgehend klaglos hingenommen.

[48] Gesigora, Ludger: Das Verschwinden des deutschen Lehrers. Euphoriepädagogik und Schulwirklichkeit oder Windiges aus Wüste und Weinberg.  (Münster 2001), S. 21.

[49] Z.B. in Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 117 v. 21.Mai 2008, S. B3: „Wissen entscheidet über Erfolg“.

[50] Ebda.

[51] Gruschka, Andreas: Verstehen lehren. Ein Plädoyer für guten Unterricht. Stuttgart (2011).

[52] Gudjons, Herbert: Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. Bad Heilbrunn 2003.

[53]Andreas Gruschka (Frankfurt/M.), Ulrich Herrmann (Tübingen), Frank-Olaf Radtke (Frankfurt/M.), Udo Rauin (Schwäbisch Gmünd), Jörg Ruhloff (Wuppertal), Horst Rumpf (Frankfurt/M.), Michael Winkler (Jena)  „Frankfurter Einsprüche“ (2005):„ 1. Wir wenden uns gegen die Illusionen einer alle politischen Parteien übergreifenden Bildungspolitik, die das Bildungssystem nach betriebswirtschaftlichen Mustern in den Griff zu bekommen sucht.

2. Wir widersprechen der völlig irreführenden Behauptung, bei der gegenwärtigen Umorganisation der Bildungsinstitutionen gehe es um mehr Autonomie von Schulen und Hochschulen. 3.  Wir halten es für einen folgenschweren Irrtum, wenn behauptet wird, Erziehungswissenschaft erfülle ihren öffentlichen Auftrag nur dann, wenn sie unmittelbar verfügbare und kurzfristig nutzbare Ergebnisse für Politik und Praxis zeitige. 4. Wir protestieren gegen die weitere Aushöhlung von universitären Studiengängen – insbesondere auch in der Lehrerausbildung – durch ihre zunehmende Verschulung. 5. Wir bezweifeln die vorherrschende Meinung, die Festlegung und Durchsetzung von Leistungsstandards zur Überprüfung von Basiskompetenzen sei ein geeignetes Mittel, um der demokratischen Forderung nach größtmöglicher Gleichheit der Bildungschancen Genüge zu tun.“ http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb04/initiativen/einsprueche/index.html
Dagegen z.B. Tenorth, Heinz-Elmar: Milchmädchenrechnung. Warum der Vorwurf der Ökonomisierung des Bildungswesens falsch ist. In: Die Zeit, Nr. 41 vom 6. Oktober 2005, S. 89.

[54] Meidinger, Heinz-Peter: Bildungsidee Gymnasium. In: Profil, November 2009, S. 3.

[55] Debattendokumentation in „Das Parlament“ Nr. 5/6 vom 30. Januar 2012, S. 13.

[56] Schirrmacher, Franz, in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 15. August 2011: „Der geradezu verantwortungslose Umgang mit dem demographischen Wandel – der endgültige Abschied von Ludwig Erhards aufstiegswilligen Mehrheiten – macht in seiner gespenstischen Abgebrühtheit einfach nur noch sprachlos.“

[57] Köck Helmuth: Zum Bild des Geographieunterrichts in der Öffentlichkeit. Eine empirische Untersuchung in den alten Bundesländern. Gotha 1997 = Perthes Pädagogische Reihe. Sonderband.

[58] Birkenhauer, Josef, in: Praxis Geographie 10/1992, S. 50.

[59] Trotz Unklarheit des Begriffs „Bildung“ wird meistens von „Bildungsstandards“ gesprochen, auch wenn der Terminus „Leistungsstandards“ oder einfach „Standards“ neutral wäre und mehr dem entspräche, was eigentlich gemeint ist.

[60] Verband Deutscher Schulgeographen (Hrsg.): Grundlehrplan Geographie. Ein Vorschlag. 2. Auflage (Bretten) 2004 = Schriften Nr. 2.

[61] 7. Auflage, Bonn  2012.

[62]Beispielsweise: „Bildungsstandards bilden einen Meilenstein in der föderativen Bildungspolitik.“ (Presseerklärung der Landesregierung von Baden-Württemberg vom 23. Mai 2003.) „Für unsere Ausbilder und für die Auszubildenden sind sie [die Bildungsstandards] ein Meilenstein auf dem Weg einer ziel- und zeitgerechten Entwicklung.“ (1. Vorsitzende des Verbandes Deutscher Schulgeographen, Frank-M. Czapek, im „Editorial“ des Mitteilungsorganes des Verbandes der Geographen an Deutschen Hochschulen (VGDH) „Rundbrief Geographie“, Heft 229 vom April 2011, S. 2).

[63] Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG): Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. Mit Aufgabenbeispielen. Görlitz, 3. durchgesehene u. ergänzte Auflage, 2007, S. 1.

[64] In Rezension zu: Axel Backhaus / Hans Brügelmann: Ab wann sind schwache Leseleistungen ein Problem? Zs. für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 3/2004
65 Tenorth, Hein-Elmar: Bildungsstandards außerhalb der „Kernfächer“. (…) In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 2/2008, S. 159 f.

 

[66] VGDH = Verband der Geographen an Deutschen Hochschulen.

[67] „Wir freuen uns über den guten Konsens und die große Zustimmung, welche die Standards bei allen Gruppen unseres Faches gefunden haben, und über die einhellig positive Resonanz aus den Kultusbehörden aller Bundesländer.“ Vorwort zu „Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss“, Berlin 2006, S. 3.

[68] Bildungsstandards, a.a.O., S. 15.

[69] Liessmann, Konrad Paul: Reform. In: Dzierzbicka, Agnieszka, und Alfred Schirlbauer (Hrsg.): Pädagogisches Glossar der Gegenwart. Von Autonomie bis Wissensmanagement. Wien 2006, S. 244.

[70] Vgl.  Kent, W. Ashley, (u.a.) (Hrsg.): Geographical Education. Expanding Horizons in a Shrinking World. Glasgow 2004 = SAGT Journal 2004, Vol. 33, S. 167 ff.

[71] Weniger Schüler pro Klasse ermöglichen insbesondere die bessere fachliche und pädagogische Zuwendung des Lehrers zum einzelnen Schüler.

[72] „Besonders auffällig wird diese latente Bereitschaft zur Regression in Fortbildungsveranstaltungen von Lehrern. Auch wenn die Lehrer längst ausgelernt haben, sie selbständig denken und handeln können sollten, schlüpfen so manche in die alte Rolle. Sie suchen nach Vorschriften, lösen Schulaufgaben, lassen sich führen.“ Gruschka, Andreas,  a.a.O., S. 12.

[73] „Es sieht so aus, als müsse man eine Schule nur in Ruhe lassen und mit immer neuen, vermeintlich immer besseren Bildungskonzepten, -ideen und –debatten verschonen, damit es ihr bessergeht.“ „Der Spiegel“ Nr. 40 vom 1.10.2011, S. 38.

[74] Wenn von Saldern, Paulsen (a.a.0., S. 82) darauf hinweisen, dass die Standards in der Regel Mindeststandards sind und fordert: „Die Möglichkeit, dass Schüler im Erreichen der Mindeststandards überfordert sein könnten (…), muss (…) zu einer Kultur der Förderung und Hilfestellung führen, damit irgendwann tatsächlich kein Schüler mehr unter den minimalen Erwartungen zurück bleibt.“, dann weist er hier nicht zugleich auf die damit sich ergebende Notwendigkeit hin, die Lernenden stärker in kleineren Lerngruppen mit mehr Lehrenden zu unterrichten und zu betreuen – was erhöhte Bildungsausgaben verursachen würde, die ja gerade vermieden werden sollen.

[75] Der Lehrplan „Biologie“ des Landes Rheinland-Pfalz sieht beispielsweise die Biologie als „Brückenfach zwischen Natur- und Geisteswissenschaften“; das „Studieninformationsblatt Nordische Philologie, Magister“ der Christian-Albrechts-Universität Kiel (September 2000)  nennt als „Brückenfächer (als Haupt- oder Nebenfach): Geographie, Geschichte der Medizin, Politische Wissenschaft, Soziologie“.

[76] Vgl. Schallhorn, Eberhard: Erdkunde. Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2007, S. 189.

[77] Nicht nur kolportiert, sondern den Tatsachen entsprechend ist die nun allerdings doch kaum glaubhafte Äußerung des ehemaligen Ministers für Kultus und Sport in Baden-Württemberg am 11. September 1982:  „Selbst wenn der Geographenverband in Kompaniestärke bei mir aufkreuzt – ich gehe nicht mehr runter von dem Prinzip „von nah nach fern“.“

[78] Kunter, Mareike, und Uta Klusmann: Die Suche nach dem kompetenten Lehrer – ein personenzentrierter Ansatz. In: Bos, Wilfried (u.a.) (Hrsg.): Schulische Lerngelegenheiten und Kompetenzentwicklung. Festschrift für Jürgen Baumert. Münster (u.a.) 2010, S. 207-230; hier: S. 224.

[79] Ebda., S. 207.

[80] „ ‚Ich möchte, dass die Besten und Engagiertesten eines Jahrgangs Lehrer werden‘, sagte die Bundesbildungsministerin.“ (Pressemeldung 047/2012 des BMFB vom 24. April 2012).

[81] Vgl. dazu Roth, Gerhard: Bildung braucht Persönlichkeit: Wie Lernen gelingt. Stuttgart 2011.

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