KI und Klimaforschung – Paradigmenwechsel in den Geowissenschaften

Beitrag in Tagesspiegel, Samstag, 20. Januar 2024
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KI und Klimaforschung. Neues Bild von der Erde
Von Giulio Boccaletti

(Auszug)

Wir erleben gerade den Beginn eines Paradigmenwechsels in den Geowissenschaften. Eine im Juli in „Nature“ veröffentlichte Studie zeigt, dass ein neuronales Netz (künstliche Intelligenz) das Wetter besser vorhersagen kann als das europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage mit dem weltweit modernsten Vorhersagesystem. Im November gab dann die Google Firma DeepMind bekannt, dass seine KI für Wettervorhersage sogar noch zuverlässigere Prognosen erstellt hat.

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Auch wenn die Entwicklung von KI-Anwendungen in diesem Bereich noch relativ am Anfang steht und – wie auch in anderen Sektoren – noch viel zu tun bleibt, könnten KI-gestützte Wettervorhersagen qualifizierte Arbeitskräfte überflüssig machen, da neuronale Netze keine Kenntnisse in dynamischer Meteorologie brauchen (…).

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Gerade in den letzten Jahren kam es zu einem enormen Anstieg der Beobachtungsdaten der Erde. Zwischen 1993 und 2003 wurden nur 25 Erdbeobachtungssatelliten in den Weltraum befördert, während deren Zahl zwischen 2014 und 2022 auf 997 anstieg. Derzeit befinden sich etwa 7560 Erdbeobachtungs- und andere Satelliten in der Umlaufbahn. Mit einer derart umfassenden Weltrauminfrastruktur, die Daten über so gut wie alles liefert – von Pflanzenwachstum, über Wasserdampf und Infrastruktureinrichtungen bis hin zu Infrarotstrahlung, Höhe der Baumkronen und Messungen des Zustands der Atmosphäre – sind wir in das goldene Zeitalter der Erdbeobachtung eingetreten.

Dieses ständig wachsende Datenarchiv beschreibt fast alle Aktivitäten der Menschen und der Natur insgesamt. In Kombination mit neuen KI-Modellen unserer sich stetig ausweitenden Recheninfrastruktur könnte dies unser Verständnis der Erde und unserer Rolle auf dem Planeten grundlegend verändern.

Man denke an den Klimawandel. In den letzten 40 Jahren wurde die Antwort der Menschheit auf die Klimakrise vom zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderung (Weltklimarat) bestimmt, bei dem es sich um ein nach Fachgebieten gegliedertes wissenschaftliches Gremium handelt: die Naturwissenschaften nutzen große Erdsystemmodelle, die viel mit denen für Wettervorhersage gemeinsam haben, während die Wirtschaftswissenschaften und die Geographie die Auswirkungen quantifizieren und sich auf die Rolle der Anpassung und Eindämmungsmaßnahmen konzentrieren.

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Freilich ist KI kein Ersatz für wissenschaftliches Verständnis. Die Wissenschaft wird weiterhin ein durch und durch menschliches Unterfangen bleiben, dessen Wert eher darin liegt, die richtige Frage zu stellen, anstatt nur Antworten aus Daten zu extrahieren.

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